Gedrückte Stimmung vor Heim-EM : Kann aus der Nationalmannschaft unter Hansi Flick noch was werden?

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft schlittert nach dem 0:2 gegen Kolumbien immer tiefer in die Krise. Und das ein Jahr vor der Heim-Europameisterschaft. Im Fokus steht Trainer Hansi Flick. Ist er noch der richtige Mann für den Job? In unserer Serie „3 auf 1“ äußern drei Fußball-Experten ihre Meinung zu den Aussichten des Teams von Bundestrainer Hansi Flick. (Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.)


Experimente zeigen auch, was nicht geht

Stefan Hermanns ist seit vielen Jahren Nationalmannschaftsreporter beim Tagesspiegel. Er sieht Trainer Hansi Flick kritisch. Er sagt: Es ist ein Wagnis, Hansi Flick einfach weitermachen zu lassen.

Im Moment spricht vieles dagegen. Seit der WM in Katar ist alles noch viel schlimmer geworden. Die Mannschaft hat die latenten Zweifel, dass es ihr bei allem Talent an Wettkampfhärte mangelt, noch verstärkt. Und beim dafür verantwortlichen Bundestrainer wird inzwischen sogar gefragt, ob das Talent für den Job wirklich vorhanden ist.

Hansi Flick hat Fehler gemacht. Er hat die Situation verkannt, in der er und seine Mannschaft sich nach der verkorksten Weltmeisterschaft befinden.

Der Bundestrainer wollte die drei Länderspiele ein Jahr vor der EM dazu nutzen, einige Dinge auszuprobieren. Doch seine Experimente gegen allenfalls mittelmäßige Gegner haben höchstens gezeigt, was nicht geht.

Das ohnehin angekratzte Vertrauen in den Bundestrainer ist in den vergangenen Tagen noch weiter erodiert. Flicks Ankündigung, dass es im September, bei den nächsten Länderspielen, ganz sicher besser werden werde, wirkt da längst wie eine hohle Phrase. Aber das hat er sich vor allem selbst zuzuschreiben.

Flick als Bundestrainer weiter machen zu lassen ist inzwischen ein Wagnis, weil er kaum noch ankommt gegen die Zweifel der Öffentlichkeit. Und weil bei jedem weiteren Misserfolg die Erinnerungen an die vercoachte WM wieder hochkommen.


Es gibt keine Alternative

Elmar Neveling ist freier Autor und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fußballtaktik. Er ist skeptisch, was die Nationalmannschaft angeht. Von einem Trainerwechsel hält Neveling nichts. Er sagt: Es gibt keine zufriedenstellende Alternative zu Hansi Flick.

Es gibt zwei Ebenen, die es hier zu berücksichtigen gilt. Auf der langfristigen Ebene hat der deutsche Fußball ein Problem. Es fehlt ein Mittelstürmer, seit vielen Jahren. Niclas Füllkrug ist ein guter Stürmer, aber keiner, der in einem Halbfinale oder Finale bei einer EM den Unterschied ausmacht. Dieselbe Problematik auf den Außenverteidigerpositionen. Seit Philipp Lahm haben wir niemanden dort. Ich sehe nicht, wie diese Probleme bis ins nächste Jahr gelöst werden sollen.

Auf der kurzfristigen Ebene gibt es mehr Möglichkeiten, noch eine Trendwende zu schaffen. Hansi Flick sollte sich ab jetzt von seinem Experimentier-Irrweg verabschieden. Die Phase des Testens muss nun beendet werden. Es muss sich nun schnell ein Gerüst herausbilden.

Was den Trainer anbelangt, denke ich, dass die Frage immer eine der Alternativen ist. Meiner Einschätzung nach gibt es keine zufriedenstellende. Jürgen Klopp will nach dieser Saison mit Liverpool noch einmal etwas Neues aufbauen. Und Thomas Tuchel ist nun einmal bei den Bayern. Alles in allem sehe ich die EM im kommenden Jahr aus deutscher Sicht eher pessimistisch. Gleichwohl kann solch ein Turnier immer eine erstaunliche Dynamik entfalten, auch im Positiven.


Testspiele interessieren nicht

Martin Einsiedler ist Sportredakeur beim Tagesspiegel und kann sich noch sehr gut an die Aufregung um das deutsche Team vor der Weltmeisterschaft 2006 erinnern. Er sagt: Verlorene Testspiele wirken nicht nach, was zählt, ist das Turnier.

Warum nicht?! Ein paar mediokre bis miese Testspiele wirken genau so lange nach, bis die Gruppenphase eines großen Turniers beginnt. Wenn das Auftaktspiel glückt, ist alles vergessen. Wie die Mannschaft Monate zuvor gegen Polen oder Kolumbien gespielt hat, interessiert dann niemanden mehr. So ist das immer gewesen.

Beispiel 2006: Wenige Monate vor dem WM-Turnierbeginn in Deutschland unterlag die deutsche Nationalmannschaft unter Trainer Jürgen Klinsmann Italien in einem grauenvollen Testspiel mit 1:4. Es wurde allen Ernstes darüber diskutiert, ob man Klinsmann vor den Sportausschuss zitieren soll. Und wie DFB-Präsident Theo Zwanziger später verriet, gab es schon einen Plan B mit Matthias Sammer als Trainer.

Klinsmann blieb, die Mannschaft wurde stabiler und mit einem wunderschönen Tor von Philipp Lahm im Eröffnungsspiel nahm das vielbeschriebene Sommermärchen seinen Lauf. Nun sind die Zeiten andere, die Begeisterung von damals nicht übertragbar auf heute. Dennoch: Stimmungen im Fußball können sich schnell drehen. Flick weiß nun immerhin, was alles nicht funktioniert. Jetzt muss er nur noch herausfinden, was funktioniert.