Apokalypse Kulturbetrieb!

Viele „Natur“-Katastrophen sind in unserer Gegenwart denkbar, nicht nur Corona. Der Einschlag eines Meteoriten ist ein realistisches Szenario. Erfreulich, dass er im durch Corona unendlich verlängerten Beethoven-Jahr auch gleich den musikalischen Messias mit sich bringt. Weniger erfreulich vielleicht – je nach Blickwinkel –, dass nun auch die Berliner Philharmonie in Schutt und Asche liegt.

Dabei stehen die Feierlichkeiten, deren Höhepunkt die Uraufführung von Beethovens 10. Sinfonie sein soll, unmittelbar bevor. Corona gab der Deutschen Telekom die Zeit, diesen Plot der Autoren Moritz Rinke und Matthias Schönsee in die Tat umzusetzen, bevor dieser selbst an der Neuköllner Oper uraufgeführt werden konnte. Das Ergebnis kann sich jedenfalls mit bedeutend mehr Herz, Witz und Geist sehen und hören lassen als die von Künstlicher Intelligenz zur „Zehnten“ zusammengestoppelten Notizen des Meisters. Ein Kulturbetrieb, der es ermöglicht, dies als „Beethoven“ wahrzunehmen, kriegt hier sein Fett weg.

„Der Mann, der sich Beethoven nannte“ platzt in eine Philharmoniker-Probe hinein, die ein despotischer Maestro allen Widrigkeiten zum Trotz durchzieht. Hansa Czypionka stattet ihn mit allen Attributen des Egomanen aus („was tut ihr mir an“?), dem die Klänge zum eigenen Ruhm stets wichtiger sind als der Preis zerstörter Beziehungen. Sein Gegenspieler „Beethoven“ erhält von Christian Kerepeszki das Profil eines ganz normalen Menschen, den seine Stilisierung zum zerwühlten Genie vehement ablehnt. Im Orchester sind ihm viel zu wenig Frauen. Doch, eine: Er verbündet sich mit Clara (Maya Alban-Zapata) – nicht Musikerin, sondern Bratschistin! –, die gern die „alten weißen Männer in die Tonne treten“ möchte und schließlich auch den Kopf des Beethoven-Denkmals erbeutet. „Für diese Schweine spielen wir nicht“ ist ihr Credo angesichts heuchlerischer Hommagen mit Lachs-Canapées.

Regisseur und Mitautor Matthias Schönsee entwickelt mit den Schauspielern ein natürliches, überzeugendes, temporeiches Spiel. Bühne und Licht (Rebecca Raue, Moritz Schick) geben ihm stimmungsvollen Hintergrund – vor allem der Meteoriteneinschlag aus dem von Beethoven geliebten „gestirnten Himmel“ ist ein schönes Gegenbild zum profanen Business auf der Bühne. Gewitzt stellt sich das dort postierte Trickster Orchestra Fragen, wie Beethoven heute komponieren oder wie seine Musik in anderen Kulturkreisen klingen würde.

Mit exotischen Instrumenten wie Scheng – der chinesischen Mundorgel – der japanischen Zither Koto, aber auch mit Elektronik und einem fulminanten Schlagzeug entsteht ein farbiger Soundtrack, dem Beethovensche Motive ganz natürlich, nicht anbiedernd oder aufgesetzt, eingewebt sind. Die Komponist:innen Cymin Samawatie, Ketan Bhatti und Niko Meinold ergänzen sich hier mit ihren verschiedenen Erfahrungen in Klassik, Jazzrhythmen und Improvisation. Ihre demokratische Zusammenarbeit hätte Beethoven gefallen, und auch ihr Begriff „Komprovisation“ trifft seine eigene Arbeitsweise ziemlich exakt – genau das hatte die KI bei der Rekonstruktion der Zehnten nicht begriffen. Isabel Herzfeld

Nächste Aufführungen: 4./5./9./10.12.