Gastwirtsgattin und gefeierte Porträtistin bei Hofe
Beruf Künstlerin? Für eine Frau des 18. Jahrhunderts war das keine Option. Schon gar nicht für eine Gastwirtsgattin im Berlin zwischen friederizianischem Rokoko und bürgerlicher Aufklärung. Anna Dorothea Therbusch hat es trotzdem geschafft. Wie? Mit Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen, stupendem Ehrgeiz und hinreißendem künstlerischen Talent biss sie sich durch.
In den 1770er Jahren gehörte Therbusch zu den wichtigsten Akteuren in der Kunstszene der preußischen Hauptstadt. Adel und Bürgerliche saßen ihr Modell. Der arrivierte Daniel Chodowiecki, selbst vor allem als Grafiker gefragt, schwärmte nach einem Atelierbesuch von ihren „ganz herrlichen“ Porträts.
Bei Therbuschs Porträts gewinnt man ein Gefühl für den Menschen
Tatsächlich zeichnet Therbuschs Bildnisse etwas aus, was nicht viele Maler liefern konnten. Sie haben diese spezielle Lebendigkeit. Gesicht und Körperhaltung vermitteln unwillkürlich ein Gefühl für den Menschen, den die Malerin festhält. Da ist nichts Formelhaftes, selbst wenn sie ganz selbstverständlich die Standards von Porträtsetting und Peinture bedient. In einer konzentrierten Ausstellung kann man sich jetzt von Therbuschs Standing überzeugen. Es ist ein Dialog auf Augenhöhe, ob mit den Berliner oder den Pariser Kollegen ihrer Zeit.
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Leider umfasst die Schau nur zwei Räume. Und es braucht Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen, sie im letzten Winkel der derzeit teilweise gesperrten Gemäldegalerie überhaupt zu finden. Aber immerhin: 12 Therbusch-Gemälde, sonst berlinweit in verschiedenen Museen verstreut, kommen hier zusammen.
In ihrem Atelier Unter den Linden ging die Prominenz ein und aus
Auf engstem Raum gelingt Nuria Jetter dabei ein echtes Kuratorenkunststück. Pointiert und erhellend spickt sie den Parcours mit Vergleichsarbeiten von Antoine Pesne bis Antoine Watteau, von Elisabeth Vigée-Lebrun bis Chardin. Bei den Vorbereitungen hat sie so viel Neues herausgefunden, dass es längst nicht auf die Objektschildchen und Wandtexte passt. Sie hofft auf eine Publikation.
Fokus Berlin: Ein historischer Stadtplan mit Therbuschs Lebensorten zeigt, wie nah sich Hofgesellschaft und Bürgertum damals auf engstem Raum kamen. In ihrem Atelier Unter den Linden, das sie mit ihrem Bruder teilte, gingen die VIPs ein und aus. Einen Bildhauer, wohl Carl Philipp Glume, verewigte sie mit frisch gerötetem Gesicht und Pelzmütze bei der Arbeit. Das unprätentiöse, nahbare Bildnis verzichtet auf große Pathosgesten, ganz im Kontrast zu Largillierres pompösem Bildhauerbildnis daneben.
Gegenüber schmunzelt ein unbekannter Pariser Intellektueller, worüber auch immer. Er gehörte wohl zum Umkreis Denis Diderots. Mit dem Aufklärer freundete sich Therbusch in Paris an. Den gewagten Trip in die französische Hauptstadt trat die Malerin mit über 40 an. Drei Töchter hatte sie geboren, dazu zwei Söhne. Jetzt verfolgte sie ihre eigene Karriere, und zwar gezielt.
Mitglied der Académie Royale und „Peintre du Roi de France“
Paris brachte ihr den Durchbruch: Die Preußin schaffte es, in die Académie Royale aufgenommen zu werden und durfte fortan als „Peintre du Roi de France“ signieren. Ein strategisches Plus, zumal um später Aufträge des frankophilen Preußenkönigs Friedrich II. zu erringen. In Schloss Rheinsberg und in den Neuen Kammern von Sanssouci hängen Therbuschs Werke.
[Im Rahmen der Aktion „fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen“ schreiben am 5.12. zwischen 12 und 13 Uhr Aktivistinnen die Titel der 250 bekannten Werke von Therbusch auf die Steinplatten der Piazzetta vor der Gemäldegalerie.]
Wie gerne hätte man sie jetzt in der Schau gesehen! Aber mehr war derzeit nicht drin, wie die neue Direktorin der Gemäldegalerie Dagmar Hirschfelder erklärt. Sie hat gerade vor zwei Wochen ihr Amt angetreten und freut sich darauf, künftig stärker den weiblichen Anteil in der Kunst zu beleuchten: auch in Themen und Motiven der Alten Meister.
Zur Fleischbeschau lädt der Franzosenraum. In dem saftigen Schinken, den Anna Vallayer-Coster gemalt hat, steckt noch das Messer. Ebenfalls ausgesprochen rosig ruht, gleich daneben, auf einem Therbusch-Gemälde die hüllenlose Antiope: Lustobjekt für den hinten um die Ecke lugenden Jupiter in Gestalt eines Satyrs.
Therbusch wagte sich als Frau an die Historienmalerei, das war stark
Erotisch ebenso aufgeladen ist die Venus von François Boucher. Seine galanten Sujets fanden die Zeitgenossen völlig unbedenklich. Wenn eine Frau den Pinsel handhabte, sah das anders aus. Die Pariser Salon-Jury fand ihr Sujet zu unschicklich.
Sie schaffte es trotzdem: mit einem unverfänglicheren Motiv. Dass Therbusch sich als Frau überhaupt an die angesehene Historienmalerei wagte, war ungewöhnlich. Denn für die großen Stoffe aus der antiken Mythologie brauchte es nun einmal Aktstudien. Ein Tabu für eine Frau. Therbusch setzte sich darüber hinweg.
Ihr Rüstzeug hatte die 1721 Geborene beim Vater erworben. Ein staubtrockenes Standesporträt aus dessen Hand veranschaulicht, wie weit sie ihn hinter sich ließ. Während ihr ebenfalls vertreten Bruder die Geduld seiner Modelle durch seinen Hang zur Präzision strapazierte, beeindruckt Therbusch mit lockerem Pinselschwung. Darin steckt Esprit und malerische Intelligenz.
Ihr großes, berühmtes Selbstbildnis zeigt sie mit Augenglas
Die wissbegierige Therbusch studierte nicht nur ihre französischen Zeitgenossen. Sie interessierte sich auch für die Niederländer des 17. Jahrhunderts. Bei einem Pariser Souper mit dem Stecher Georg Wille sah sie möglicherweise das exquisite Terborch-Gemälde „Galante Konversation“, das später in die Gemäldegalerie gelangte. Jetzt hängt das kleine Bild neben Therbuschs großem, berühmten Selbstbildnis mit Augenglas. Die silbrig knisternden Seidenstoffe auf beiden Gemälden schimmern um die Wette.
[Gemäldegalerie, Kulturforum, bis 10. 4.; Di bis Fr 10 – 18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa/So 11 – 18 Uhr.]
Aber Eitelkeit war nicht Therbuschs Sache. Vor ihrem Gesicht hat die betagte Künstlerin ihr Augenglas zurechtgerückt. Anton Graff zeigt sich, gleich daneben, auf seinem Selbstbildnis ebenfalls mit Brille auf der Nase. Die Sehhilfe war auch Ausweis eines durch die Aufklärung geschärften Blicks auf die Wirklichkeit.
So holt die Ausstellung die Künstlerin zurück in den Kreis ihrer Kollegen, in die vielschichtigen Netzwerke und Beziehungssysteme ihrer Zeit. Wie Angelika Kauffmann und Elisabeth Vigée-Lebrun gehört sie in den weiblichen Olymp der Kunst des 18. Jahrhunderts. Die Wiederentdeckung Anna Dorothea Therbuschs steht erst am Anfang.