Paul Drux und das Berufsrisiko
Es tat allein beim Zuschauen weh. Sebastian Heymann lief den Gegenstoß, vollendete mit einem sauberen Sprungwurf, ging dann aber nach der Landung zu Boden. Ohne Fremdeinwirkung, ohne umzuknicken. Trotzdem hielt sich der Nationalspieler sofort das linke Knie, krümmte sich vor Schmerzen und zeigte an, dass er medizinische Hilfe benötigt. Am nächsten Tag folgte die traurige Diagnose: Der 24 Jahre alte Rückraumspieler hatte sich zum zweiten Mal das Kreuzband gerissen.
Szenen wie diese im Spiel zwischen Göppingen und dem HSV Hamburg am vergangenen Donnerstag sind im Handball leider keine Seltenheit. Bei den Männern ist der Sport der verletzungsanfälligste nach dem Fußball, bei den Frauen ist es sogar die unfallträchtigste Sportart, wobei es sich oft um langwierigere Ausfälle handelt.
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Studien der gesetzlichen Unfallversicherung VGB zeigen, dass der Grund dafür nicht etwa in der Härte des oft ausgeführten Zweikampfes liegt – nur ein Fünftel der Verletzungen hat ein Foul als Ursache. Allerdings wird der Handball zunehmend dynamischer und schneller, die Regenerationszeiten nehmen ab, während die Belastung der Spieler stetig steigt und auch die stumpfen Böden des Hallenparketts helfen nicht unbedingt.
„Verletzungen können passieren, das ist bei uns Profisportlern eben das Berufsrisiko“, sagte der Melsunger Nationalspieler Timo Kastening Anfang April fast schon gelassen, nachdem bei ihm eine Kreuzbandruptur samt Meniskusschaden diagnostiziert wurde. „Da hat er leider Recht“, stimmt ihm Füchse-Spieler Paul Drux zu.
Drux kennt sich mit schweren Verletzungen aus
Der 27-Jährige weiß, wovon er spricht. Schulterverletzung, Meniskusschaden, Bänderrisse im Sprunggelenk – der Körper des Berliners zeigt wie eine Landkarte genau die Stellen an, die von den Medizinern als beim Handball besonders anfällig herausgestellt wurden. „Gesund ist das nicht. Mit dem Irrglauben muss man aufräumen. Grundsätzlich ist Sport natürlich gesundheitsfördernd, aber auf dem Level und in der Intensität, in der wir das Ganze betreiben, ist das sicherlich hart an der Grenze“, sagt Drux. „Man muss auf jeden Fall positiv verrückt sein, um sich immer wieder so zu quälen.“
Qualvoll ist dabei besonders der Rehabilitationsprozess. Man verbringt deutlich mehr Zeit in der Halle, absolviert strapazierende Übungen – und vor allem passiert dies in einem stetigen Alleinsein, wenn nicht gerade ein weiterer Teamkollege das Leidensschicksal teilt. „Dafür ist man als Mannschaftssportler nicht geboren“, sagt Drux. Trotzdem gelang es dem Rückraumspieler mehrfach, sowohl die körperlichen als auch die mentalen Herausforderungen zu überwinden. Er schaffte es, „nicht alles schwarz zu sehen und Trübsal zu blasen“, arbeitete noch härter an sich und versuchte sich außerhalb des Sports Ausgleichsmomente zu schaffen. „Vor allem sollte man in dieser Zeit Spaß haben und viel beim Team sein, weil es einen sonst über die Länge zermürbt“, hat Drux für sich festgestellt.
Gleichzeitig merkt er aber an, dass diese Situationen die Möglichkeit bieten, persönlich zu wachsen. Sowohl im Umgang mit Rückschlägen als auch im Finden neuer Perspektiven, die aufzeigen, dass nicht immer alles geradlinig verläuft. „Man lernt, das wertzuschätzen, was wir als Sportler täglich tun dürfen und wie fragil das alles ist“, sagt Drux.
Die Füchse hoffen noch auf die Champions League
Auf noch allzu viele derartige Sinnesphasen würde der Handballer allerdings gerne verzichten. Dafür legt er neben dem mannschaftsüblichen Training Extraschichten ein und arbeitet an der gelenkstabilisierenden Muskulatur. Die Option, seinen kontaktreichen Spielstil zu ändern, gibt es für Drux derweil nicht. Sein Vater hatte seinen einstigen Trainer Velimir Petkovic vor Jahren sogar einmal gebeten, ihm einen „ordentlichen Sprungwurf beizubringen“, wie der Coach berichtet, doch Drux blieb bei seinem markanten Eins-Eins. Zum einen aus Gewohnheit, zum anderen, weil sich sein schneller erster Schritt und sein körperlicher Einsatz zu seinem Markenzeichen entwickelt haben und zu der oft geschätzten Qualität des 115-fachen Nationalspielers zählen.
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Eine Stärke, die er im heutigen Spiel gegen Göppingen (19 Uhr/Sky) erneut unter Beweis stellen möchte. Obgleich er nach seinen Operationen den Glauben aufgegeben hat, wieder einhundertprozentig an sein vorheriges Leistungsniveau anzuschließen und sich auch aktuell mit Schmerzen und kleineren Blessuren plagt, möchte der Kapitän so viel wie möglich Spielzeit bei den Füchsen erhalten, möchte er seiner Mannschaft so gut wie möglich helfen.
Dass die Berliner in eigener Halle weitere Punkte sammeln können, um sich die Chancen für die Champions League zu bewahren, hilft, die Probleme auszublenden – selbst, wenn er weiß, dass gerade am Ende einer Saison das Verletzungsrisiko aufgrund der länger konstanten, hohen Belastung steigt. „Man merkt den Körper, aber das treibt an“, sagt Drux. „Wir freuen uns auf die letzten Spiele, doch genauso auf den 13. Juni und die Sommerpause.“ Der Urlaub ist bereits gebucht und wenn alles gut läuft, darf sich Paul Drux auf fünf freie Wochen freuen. So lange hat er ohne Verletzung schon lange nicht mehr pausieren dürfen.