Hongkong-Aktivist Nathan Law : „Gute Handelsbeziehungen mit China? Der Preis ist die Demokratie“

Mr. Law, nach Inkrafttreten des von China erlassenen Nationalen Sicherheitsgesetzes mussten Sie Hongkong verlassen. Ihre prodemokratischen Aktivitäten setzen Sie seitdem aus London fort. Wie funktioniert das im Exil?
Der Freiheitskampf der Hongkonger darf international nicht in Vergessenheit geraten. Es gibt eine große Exil-Community im Ausland, die sich deshalb bei der China-Politik der westlichen Regierungen mehr Gehör verschaffen möchte. Wir machen uns auch dafür stark, dass Gesetze geändert oder erlassen werden. Zum Beispiel US-Gesetze gegen den Export von Waffen wie Tränengas, Gummigeschosse oder Pfefferspray, mit denen die Polizei Demonstranten bekämpft. Hier in Großbritannien gilt es unter anderem zu verhindern, dass Huawei nicht das 5G-Netz kontrolliert.

Sie haben eine NGO gegründet.
Sogar zwei, eine in London, eine in Washington. Die Hong Kong Umbrella Community engagiert sich für die Bewahrung der Hongkonger Kultur und Identität, zum Beispiel mit dem Kulturfestival „Hong Kong March“. Auf unserem jährlichen Filmfestival, das ebenfalls im März läuft, werden Produktionen präsentiert, die in Hongkong verboten sind.

Praktisch alle Filme, in denen die Regenschirmproteste auch nur erwähnt werden, können in Hongkong nicht gezeigt werden, weil sie angeblich die nationale Sicherheit bedrohen. Wir bieten diesen Filmen eine Plattform. In Washington bemühe ich mich vor allem um mehr öffentliche Aufmerksamkeit, rede mit Politikern, nehme an Konferenzen und Podien teil.

Frustriert es Sie nicht, dass der Rest der Welt seit der Pandemie und erst recht seit Putins Krieg gegen die Ukraine kaum mehr nach Hongkong schaut und die Niederschlagung der Demokratiebewegung mittlerweile praktisch hingenommen wird?
Als ich Hongkong verließ, hatte ich viele negative Emotionen, Frust, Wut, Schuldgefühle. Ich musste Freunde und Mitstreiter zurücklassen, Joshua Wong sitzt seit über zwei Jahren hinter Gittern, im April wurde er erneut verurteilt. Wir haben keinen Kontakt, denn das könnte ihn zusätzlich gefährden.

Aber das Weggehen bringt auch Verantwortung mit sich. Du gehst ja nicht umsonst weg, sondern damit deine Stimme nicht verstummt.  Also versuche ich, die negativen Emotionen zur Antriebskraft für unsere Arbeit umzumünzen. Ich nenne das gern Fermentierung: Die negative Energie wird wie Abfall verdaut und zum Nährboden für etwas Neues.

Was war der schwierigste Moment beim Abschied im Sommer 2020?
Ich hatte nur Handgepäck dabei, denn ich wusste bis zur letzten Sekunde nicht, ob ich festgehalten werde. Praktisch täglich wurde jemand verhaftet, man war immer angespannt. Da blieb keine Zeit für Verlustängste.

Als ich dann im Flugzeug saß, wusste ich plötzlich, dass ich die Stadt tatsächlich verlasse und nicht weiß, ob ich sie je wiedersehe. Hongkong bei Nacht, von oben ist das einer der schönsten Anblicke der Welt. Erst da fing ich an zu weinen.

Wir wissen, dass das chinesische Regime die Exil-Community in London zu infiltrieren versucht.

Nathan Law

Wir treffen uns hier auf einem Symposium zum Thema Vertrauen. Auf Sie ist ein Haftbefehl ausgestellt, der chinesische Geheimdienst überwacht Sie womöglich auch in London. Wem können Sie noch trauen?
Ich muss sehr vorsichtig sein, auch im Exil gelten wir Aktivisten als Staatsfeinde. Wir wissen, dass das chinesische Regime die Community in London zu infiltrieren versucht. Umso wichtiger ist es, enge Freunde zu haben, teils sind es Leute, mit denen ich Hongkong verlassen habe.

Wenn du alleine kämpfst, kannst du deine Wut nicht beherrschen und du hast schnell einen Burn-out. Deshalb ist es wichtig, Vertrauen und Verlässlichkeit aufzubauen.

Die Aufmerksamkeitsökonomie ist gnadenlos: Hongkong, Belarus, Iran, die Weltöffentlichkeit wendet sich irgendwann wieder ab. Wie kommen Sie damit zurecht?
Es ist hart. Die Menschen haben gute Gründe für all diese Aufstände, und sie werden grausam niedergeschlagen. Die Umstände sind nicht immer gleich und manchmal nicht leicht zu verstehen. Aber es gibt etwas Gemeinsames: Überall in der Welt erstarkt der Autoritarismus, Diktaturen sind auf dem Vormarsch. Viele behaupten von sich, sie seien durch Wahlen legitimiert, das erleichtert den Export dieser Staatsform.

Aber solange es die Energie und Entschlossenheit gibt, dagegen vorzugehen, wird es weiter Proteste geben. Auch wenn die autoritären Regime versuchen, Aktivisten-Communities selbst in demokratischer Umgebung zu unterwandern, Misstrauen und Hass zu schüren und sie zu spalten.

Ist es nicht auch paradox? In vielen Ländern gehen junge Menschen für die Freiheit auf die Straße, gleichzeitig erodieren die Demokratien.
Die Jugend hat weniger Zukunft als vor 30, 40 Jahren. Damals hätte bei einer Straßenumfrage in westlichen Demokratien wohl so gut wie jeder Teenager optimistisch in die Zukunft geblickt. Fragt man sie heute, machen sie sich Sorgen. Klimawandel, Rechtspopulismus, ungleiche Chancen wegen Rassismus, schlechte soziale Aufstiegschancen, Kostenexplosion – wie soll man da noch die Welt verbessern? Die Lähmung ist ein Problem in der freien Welt, während es in manchen unfreien Ländern durchaus Energie zum Protest gibt.

Woher nahmen Sie selber als Teenager diese Energie? Ihre Eltern wollten vor allem, dass Sie fleißig lernen und die Füße stillhalten.
Mich hat das Vertrauen meiner Kommilitonen ermutigt. Erst glaubte ich, ich kann das doch gar nicht, aber dann musste ich es tun, wegen des Vertrauens der anderen. Bis heute ist es meine Antriebskraft: Ich fühle mich verpflichtet, mein Bestes geben und die Hoffnung, die in mich gesetzt wird, nicht zu enttäuschen. Als ich das fast zehn Jahre mehr oder weniger gut gemacht hatte, merkte ich: Offenbar kann ich das, Menschen bewegen. Auch das bringt große Verantwortung mit sich. Wenn ich den Erwartungen der anderen nicht entspreche, fühle ich mich schon mal wie ein Hochstapler.

Wir brauchen Geduld. Aber wir dürfen nicht dasitzen und abwarten, sondern müssen uns nach Kräften bemühen, ins Ziel zu kommen. Marathons sind anstrengend.

Nathan Law

Was halten Sie von der aktuellen europäischen China-Politik? Sollten Annalena Baerbock und ihre Kolleg:innen die Menschenrechte noch viel deutlicher ansprechen?
Wir wissen jetzt, was es heißt, sich von einer Diktatur abhängig zu machen, die jederzeit einen Krieg anzetteln kann. Europa konzentriert sich derzeit auf Putins Ukraine-Krieg. Sich weniger mit dem China-Problem zu befassen, bedeutet aber nicht, dass es verschwindet. Der softere Umgang mit China basiert auf der Idee, dass das Land ein zuverlässiger Player auf der internationalen Bühne ist. Eine falsche Prämisse. China hält seine Zusagen nur so lange, wie sie den eigenen Zwecken dienen.

Deutschland, Frankreich und die EU brauchen eine kohärentere Strategie. Sie müssen auf ihren Werten beharren, die Abhängigkeit von China verringern, den Schutz der eigenen Demokratien verstärken und die zunehmende chinesische Einflussnahme unterbinden.

Klingt gut, ist aber sehr schwer zu realisieren
Die Methode „Wandel durch Handel“ funktioniert jedenfalls nicht. Was ist der Preis für gute Handelsbeziehungen, für softes Verhalten? Die Demokratie. Bald könnte es auch in Taiwan eine Invasion wie in der Ukraine geben. Die Stabilität der Region steht auf dem Spiel, und Europa wären wegen der großen Abhängigkeit die Hände gebunden, so wie bei Putin. Dieses Risiko ist zu groß. China hat seinen Autoritarismus längst in andere Länder exportiert.

Wie gelingt es Ihnen, trotz alledem die Hoffnung nicht zu verlieren?
Es gibt Hochs und Tiefs, ich bin nicht immer hoffnungsfroh. Aber die Geschichte lehrt uns, dass Diktaturen auf die Dauer nicht halten, auch wenn sie oft langlebig sind. China hat mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen, vielleicht führt das eines Tages zu einem Wendepunkt.

Es ist ein Marathon. Wir brauchen Geduld, aber nicht in dem Sinne, dass wir bloß dasitzen und abwarten, sondern dass wir uns nach Kräften bemühen, ins Ziel zu kommen. Marathons sind anstrengend.