Deutsche Stars bei den European Championships im Porträt
IRIS SCHMIDBAUER
Die 27-Jährige ist bei den European Championships gefragt worden, warum sie diesen Sport überhaupt mache, sich aus 20 Metern Höhe in den Abgrund zu stürzen. Schmidbauer antwortete: „Warum nicht!“ Die Dresdnerin hat große Lust auf den Kitzel, und darüber hinaus ist sie eine großartige Athletin. Bei der EM-Premiere im Klippenspringen gewann sie die Goldmedaille.
Die ersten Versuche mit dem Springen unternahm sie in Utting am Ammersee. Später lernte sie einige Cliff Diver kennen und erfuhr, so erzählte sie es dem Bayerischen Rundfunk, „dass man tatsächlich von 20 oder sogar 27 Metern springen kann – und es überlebt“.
Im Alter von 19 Jahren wechselte sie endgültig zu dieser spektakulären und gefährlichen Sportart. Zum Schutz der Springer:innen befinden sich immer Rettungstaucher in der Nähe des Eintauchbereichs. Auch Iris Schmidbauer verletzte sich schon heftig. Der „Süddeutschen Zeitung“ erzählte sie, dass sie sich einmal bei einem verunglückten Sprung das Steißbein gebrochen habe.
Trotz dieser schmerzhaften Erfahrung, kann sie nicht vom Springen lassen – und wurde nun mit dem Europameistertitel dafür belohnt.
NIKLAS KAUL
Der Speer flog und flog. Hätte er Augen gehabt, dann hätte er das wunderschöne Zeltdach des Münchner Olympiastadions betrachten können. Und hätte er Ohren gehabt, dann hätte er den Jubel der rund 40 000 Zuschauerinnen und Zuschauer genossen. Es war ein langer, langer Flug und erst bei einer Weite von 76,05 Metern bohrte er sich in den Rasen.
Der Speer war kurz zuvor von dem Zehnkämpfer Niklas Kaul auf die Reise geschickt worden. Bis dahin hatte Kaul einen ordentlichen, aber keinen exorbitant guten Zehnkampf abgeliefert. Kein Wunder, Kaul hatte in den vergangenen Jahren mit vielen Verletzungen zu kämpfen. Bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr zog er sich eine Sprunggelenks-Quetschung zu.
Aber der 24-Jährige kämpfte sich zurück. Erst mit einem sechsten Platz bei den Weltmeisterschaften in Eugene – und mit dem Europameistertitel in München. Dabei hatte er schon fast hoffnungslos hinter dem Schweizer Simon Ehammer zurückgelegen. Doch die 76,05 Meter im Speerwerfen (weiter hat im Zehnkampf bei einer Europameisterschaft noch niemand geworfen) brachten ihn zurück ins Spiel.
Beim abschließenden 1500-Meter-Lauf musste er noch sage und schreibe 27 Sekunden auf Ehammer gutmachen. Und Kaul rannte und rannte, das Publikum brüllte und brüllte, sodass Kaul am Ende sogar 38 Sekunden vor Ehammer ins Ziel gekommen war.
GINA LÜCKENKEMPER
Die 25-Jährige machte den Reportern am Dienstag einen schweren Abend. Zu später Stunde, gegen 22.30 Uhr, gewann sie über 100 Meter in 10,99 Sekunden die Goldmedaille. Damit hatten die wenigsten gerechnet. Mit einer Medaille vielleicht, sicher aber nicht mit Gold. So mussten etliche Berichte noch einmal umgeschrieben werden. Ein Sprint-Titel für deutsche Athlet:innen hat Seltenheitswert. Bei den Frauen war dies zuletzt Verena Sailer im Jahr 2010 gelungen.
Lückenkemper konnte ihr Glück kaum fassen. Zumal ihr sportlicher Weg in den vergangenen Jahren eher vom Pech verfolgt war. Sie war häufig verletzt, ihr Neustart in einer Trainingsgruppe in den USA stockte coronabedingt ebenfalls. Dementsprechend waren ihre gelaufenen Zeiten nicht die, die sie sich erhofft hatte. Doch seit diesem Jahr geht es wieder aufwärts. Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin lief sie 10,99 Sekunden und blieb damit zum vierten Mal in ihrer Karriere unter elf Sekunden – bis zum Finale bei den Europameisterschaften in München.
Nachdem sie, wie man es von ihr gewohnt ist, nach dem Start noch ein paar Meter Rückstand hatte, lief sie immer dichter an die beiden Führenden Mujinga Kambundji und Neita Daryll auf. Auf den allerletzten Metern warf sie sich, die Brust weit nach vorne gestreckt, so energisch ins Ziel, dass sie ins Straucheln kam, stürzte und sich eine Risswunde im Oberschenkel zuzog, die mit acht Stichen genäht werden musste.
Das Zielfoto der drei Sprinterinnen weckte Erinnerungen an ein legendäres Finish beim 400-Meter-Hürdenlauf bei den Weltmeisterschaften 1987 in Rom. Damals lagen die beiden US-Amerikaner Edwin Moses und Danny Harris sowie der Deutsche Harald Schmid gleichauf. Nach Studium der Bilder folgte die Auflösung, Moses war eine Winzigkeit vor Harris und Schmid.
Dieses Mal aber hatte der Deutsche Leichtathletik-Verband mehr Glück. Für Lückenkemper war der Titel der bis dahin größte Erfolg ihrer Karriere, nachdem sie bei den Europameisterschaften 2018 in Berlin auf den zweiten Platz gelaufen war.
Ein weiterer Titel könnte am Sonntag dazukommen. Wie Lückenkemper am Samstag mitteilte, kann sie beim 100-Meter-Staffelfinale am Abschlusstag antreten. „Ich freue mich sehr, euch mitteilen zu können, dass sich das Bein beim heutigen Test so gut angefühlt hat, dass ich das Team aktiv auf der Bahn unterstützen kann“, schrieb die Europameisterin auf Instagram.
SEBASTIAN BRENDEL
Der Kanute könnte gut Modell stehen für einen Bildhauer, der Skulpturen nach dem Vorbild der griechischen Antike erstellt. Der Brandenburger hat den perfekten Körper, er ist 1,92 Meter groß, rund 90 Kilogramm schwer und auf den ersten Blick scheinen 90 Prozent davon Muskelmasse zu sein.
Brendel hat nicht nur einen beneidenswerten Körper, er ist auch außerordentlich erfolgreich. Der Ausnahmeathlet ist schon drei Mal Olympiasieger und elf Mal Weltmeister geworden, am Freitag holte er seinen 14. Europameistertitel, einen Tag später seinen 15.
Gemeinsam mit seinem Partner Tim Hecker gewann er auf dem Olympia-Kanal in Oberschleißheim im Zweier-Canadier über die 1000-Meter-Distanz. Der 34-jährige Brendel und sein zehn Jahre jüngerer Partner, die bei den Olympischen Spielen in Tokio Bronze geholt hatten, verwiesen Italien und Ungarn auf die Plätze zwei und drei. Am Samstag dann zog er auf der Langstrecke über 5000 Meter mit einem starken Schlussspurt dem Ungarn Balasz Adolf davon.
Der Kanusport erfährt meist nicht die große mediale Aufmerksamkeit, nicht einmal Brendel. Trotz oder vielleicht wegen seiner Erfolge. Denn wenn er antritt, gehen die Beobachter davon aus, dass er am Ende vorne sein wird. Und, nun ja, so ist es auch dieses Mal gekommen.