Ein Pantomime kämpft gegen die Nazis
Weißgeschminktes Gesicht, aufgerissene Augen, Ringelshirt, Hut mit Blume – so hat man ihn vor Augen, den Meister der Pantomime: Marcel Marceau. Bevor er in den 50er- und 60er-Jahren um den Globus tourte, kämpfte er im französischen Widerstand gegen die Nazis. Er fälschte Pässe und verhalf mehr als 100 jüdischen Kindern zur Flucht.Eine unglaubliche Geschichte, wie gemacht fürs Kino. Nun hat der in den USA lebende Regisseur Jonathan Jakubowicz dem kaum bekannten Kapitel im Leben von Marcel Marceau (1923 – 2007) den Film „Résistance“ gewidmet.
Jakubowicz ließ sich dafür von seiner eigenen Familiengeschichte inspirieren. Der 43-Jährige ist gebürtiger Venezolaner, seine jüdischen Großeltern emigrierten nach Lateinamerika. Eine Figur des Films ist die junge Elsbeth (Bella Ramsey), die Marceau vor den Nazis versteckt. Elsbeth hieß auch Jakubowiczs Tante, sie überlebte den Krieg tatsächlich verborgen in einem kirchlichen Waisenhaus.
Der Film liegt dem Regisseur, der auch das Drehbuch verfasste, den Filmschnitt verantwortet und koproduzierte, sichtlich am Herzen. Bei allen biografischen Bezügen steht dennoch Marceau selbst im Zentrum, oder wie er zu Beginn noch heißt: Marcel Mangel. Als junger Erwachsener ist er bereits für die Kunst entbrannt, zum Helfer für die Kinder wird er nur widerwillig.
„Social Network“-Star Jesse Eisenberg verkörpert Marceau mit der für ihn typischen quecksilbrig-verdrucksten Art, die ihn schon zum Alter Ego von Woody Allen werden ließ („To Rome With Love“). Sie eignet sich jedoch weniger für die Figur eines Pantomimen, der auf innere und äußere Ruhe und Klarheit im Ausdruck angewiesen ist.
Matthias Schweighöfer verkörpert den Gestapo-Chef Klaus Barbie
Eisenberg gibt sich Mühe, Bewegungen und Mienenspiel des Vorbilds zu kopieren, verströmt dabei aber nie den Zauber, der Marceaus Kunst zu eigen war. Wenn im Abspann zu lesen ist, der Franzose gelte als wichtigster Pantomime aller Zeiten, kann man das nicht mal ansatzweise nachvollziehen.
Marceaus Weg zum Künstler ist nur ein Nebenstrang von „Résistance“, vor allem geht es um sein erwachendes politisches Bewusstsein. Er entschließt sich, mit seinem Bruder Alain (Félix Moati) und seinem heimlichen Schwarm Emma (Clémence Poésy) dem Widerstand beizutreten. Als Antagonisten stellt ihnen Jakubowicz den Gestapo-Mann Klaus Barbie gegenüber. Matthias Schweighöfer hat es als „Schlächter von Lyon“ nicht leicht, der klischeebehafteten Rolle Glaubwürdigkeit zu verleihen. Im Film ist Barbie ein besorgter Familienvater, der Frau und Baby im Gestapo-Hauptquartier unterbringt, im Keller Gefangene foltert und dazwischen noch ein bisschen auf dem Klavier spielt.
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So ungewöhnlich die Rolle des Bösewichts für Schweighöfer ist, vermag er ihr dennoch eine bedrohliche Unberechenbarkeit zu verleihen. Wenn Barbie die jüdischen Waisenkinder, die getarnt als Kirchenchor in die Schweiz entkommen sollen, im Zug kontrolliert, schwankt Schweighöfer zwischen fanatischem Eifer und einer fast kindlichen Freude am Talent der Jugendlichen. Jakubowicz räumt dem Gegenspieler viel Platz ein. Seine Hauptfigur hingegen bleibt blass, auch ohne die Schminke, die Marceau bei seinen Auftritten trägt.
[In Berlin in den Kinos Cinemaxx Potsdamer Platz, Eva-Lichtspiele (auch OmU), Filmkunst 66 (auch Omu), Kino in der Kulturbrauerei (OmU)]
Auch die Ungenauigkeiten des Drehbuchs tragen dazu bei, dass sich die im Kern wahre Geschichte vom Widerstandskämpfer Marceau nie wahrhaftig anfühlt. Da macht er sich unter Protesten daran, in viel zu wenig Zeit 20 Ausweise für die Résistance zu fälschen, hat dann aber doch die Muße, mit der Anführerin (Aurélie Bancilhon) über die Ursprünge des Judenhasses zu philosophieren. Während die Nazis Deutsch miteinander sprechen, beherrschen alle übrigen Figuren Englisch. Auch die größtenteils deutschen Waisenkinder kommunizieren problemlos mit ihren französischen Helfer:innen. Deren rundäugige Liebenswürdigkeit wiederum geht einem bald auf die Nerven. Die gute Absicht ist ihnen genauso anzumerken wie dem gesamten Film.
„Résistance“ trägt dick auf: die malerischen Landschaften, die Kostüme, die mitten im Krieg aussehen wie frisch aus der Schneiderei, der auf Betroffenheit getrimmte Soundtrack von Angelo Milli. Das Cello klagt, die Klarinette trauert und ein Mozart-Klavierkonzert muss der Szene mit einer Hitler-Rede die vermeintlich fehlende Dramatik verleihen.
Unfreiwillig komisch wird es, wenn der Film die Wandlung Marcel Marceaus vom egozentrischen Künstler zum Lebensretter wieder und wieder im Dialog ausformuliert. Der Meister der Pantomime hätte einen Film verdient, der der Erzählkraft seiner Bilder vertraut.