Späte Erinnerung an die Zwangsarbeiter
Schwarzer Metallstaub bedeckt den Boden des Schwerbelastungskörpers in Berlin Tempelhof, dazwischen ein paar Nägel. Die Installation von Sonya Schönberger beschäftigt sich passend zum Ort mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus. Der denkmalgeschützte Betonkomplex, der die Belastbarkeit des Bodens für einen geplanten Triumphbogen im Rahmen von Albrecht Speers Plänen für die „Welthauptstadt Germania“ erforschen sollte, ist genauso ein Überbleibsel des „Dritten Reiches“ wie die Nägel.
Die Nägel hielten die Baracken der Zwangsarbeiter zusammen
Sie hielten Baracken zusammen in denen wahrscheinlich hauptsächlich sowjetische Männer untergebracht waren. In den Lagern auf dem Tempelhofer Feld, unweit der General-Pape-
Straße, hausten zwischen 1940 und 1943 Zwangsarbeiter*innen aus der Rüstungsproduktion der Deutschen Lufthansa und der Weser Flugzeugbau GmbH. 13 000 dieser Nägel hat Sonya Schönberger in ihrer Installation verarbeitet: „Die schiere Masse an Nägeln steht für das, was Zwangsarbeit im Nationalsozialismus war – ein Massenphänomen.“
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Betritt man den Schwerbelastungskörper durch den einzigen offenen Ein- und Ausgang, ist Beklemmung zu spüren. Niedrige Decken, spärliches Licht, der Raum ist eine Sackgasse, die nur zur Installation und wieder zurückführt. Die Betonwände des seltsam anmutenden Gebäudes, für das Kriegsgefangene schuften mussten, sind kahl. Schönberger beschreibt den Ort als „belastet“ – durch die Entstehungsgeschichte und auch die kiloschwere Last auf den Untergrund. Im Ausstellungsraum liegen Bombensplitter, Metallüberreste und Nägel auf dem roten Boden verteilt. Für Schönberger stehen sie metaphorisch für die Anonymität der Menschen, die auf dem Tempelhofer Feld und anderswo zur Arbeit gezwungen wurden. Inmitten der Nägel steht ein Quader aus Spiegeln, auch an der Wand wirft einer das eigene Bild zurück.
Die Künstlerin will das Publikum aus seiner Passivität herausreißen
Als Alltagsgegenstände wirkten Nägel bedeutungslos, sagt Schönberger. In ihrer Installation jedoch können Besuchende ihnen Bedeutung verleihen und an der Veränderung ihrer Geschichte teilnehmen. Im Begleitheft fordert sie auf, die Metallstücke auf dem Boden zu „begehen“. Der Metallstaub bleibt an den Sohlen haften und wird so in die Stadt hinausgetragen, das Schicksal der Menschen von damals lebt weiter. Wie in vielen ihrer Arbeiten will Schönberger auf diese Weise die passive Konsumhaltung gegenüber der Kunst aufbrechen, ihre Werke sollen ohne Distanz erlebbar sein.
[Schwerbelastungskörper General-Pape-Str. 100, bis 31. 10.; Di bis Do, Sa / So 13 – 18 Uhr.]
Für die Künstlerin stellt der Prozess eine Transformation der Nägel dar und keine Zerstörung. Die Metallobjekte stammen aus Grabungen, die das Landesdenkmalamt Berlin und die Freie Universität zwischen 2012 und 2014 durchführten. Über die Archäolog*innen und die Museen Tempelhof-Schöneberg kamen die Nägel dann zu Sonya Schönberger. Nachdem sie in einen Kurzfilm Eingang gefunden haben, wurden sie nun in ihrer Installation verarbeitet.
Die Berliner Künstlerin, die im nächsten Jahr als Stipendiatin der Villa Aurora nach Los Angeles geht, hat sich immer wieder mit Erinnerungskultur beschäftigt. Während zu Ausstellungsbeginn im Mai noch komplette Nägel den roten Boden bedeckten, dominiert heute das Schwarz des Staubs. Die Besuchenden haben die Installation verändert und die Geschichte mit sich getragen. Pia Benthin