„Varieté Gaga“ im Wintergarten: Guten Tag, Herr Holzkopf!

Entertainer Jack Woodhead und das Wintergarten Varieté sind ein dynamisches Duo. Seit 2010, als der Drag-Paradiesvogel Woodhead aus dem britischen Manchester nach Berlin zog, haben sie gemeinsam manchen Schabernack auf die Bühne gebracht. Zuletzt vor fünf Jahren – knapp bevor Corona Schluss mit lustig machte – die Zwanziger-Jahre-Revue „2020“.

In „Varieté Gaga – The Crazy Berlin Show“ bieten die Lehr- und Wanderjahre des Sängers, Komponisten und Pianisten Jack Woodhead nun gar die Folie für die Rahmenhandlung des zweieinhalbstündigen Abends. Eine intime Personality-Show hat allerdings auf einer dem artistischen Staunen verpflichteten Varietébühne, wie der des Wintergartens wenig zu suchen, also veranstaltet Regisseur Rodrigo Funke auch keine.

Vielmehr dient die Idee vom braven Musikstudenten in Cordhose und Rautenpullunder, der per Eurostar in die Sehnsuchtsstadt Berlin aufbricht und dort das klassische Piano-Studium an den Nagel hängt, um sich in Glitzerpumps und Leder-Hotpants zu werfen, als grobe Klammer für die akrobatischen Nummern.

Vorher, nachher. Jack Woodhead als braver Musikstudent (links) und als Berliner Showstar im Wintergarten Varieté.

© Andrey Kezzyn

In den Videoprojektionen, die die Bühne hinten und seitwärts einfassen, entspinnt sich ein Kampf der zwei Seelen, die in Jack Woodheads Brust wohnen. Die eine gehört dem vom bunten Stadt-Gewimmel befremdeten Klassik-Studenten und die andere der vom Nachtleben und der queeren Berghain-Szene angezogenen zukünftigem Entertainer.

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Abgesehen von der Clubszene werden in den gut gemachten Videos auch andere städtische Stereotype durchdekliniert. Fitness-Fans auf dem Tempelhofer Feld, Volkstreiben im Tiergarten und Warteelend auf dem Bürgeramt, wo Jack Woodhead bei seiner Anmeldung vom fremdsprachenunkundigen Sachbearbeiter mit „Guten Tag, Herr Holzkopf!“ begrüßt wird. Originell ist diese Klischeeparade nicht gerade, aber trotzdem lustig anzusehen.

Besonders in der ersten Hälfte der Show verzahnen sich die artistischen Acts gut mit der Berlin-Erzählung, wobei die schauspielerischen Fähigkeiten des immer wieder als Komparsen für Gruppenszenen eingesetzten Artistenensembles stark variieren. Die Biker vom lateinamerikanischen Stuntteam Dany Daniel’s Globe of E-Bikes beispielsweise, die mit ihrer eingangs noch als Fernsehturmkugel verkleideten Motorradkugel den Höhepunkt der zweiten Showhälfte bilden, nimmt man keine Flaneurposen ab. Ihre zu dritt ausgeführten Loopings im Kugelkäfig sind erstaunlich genug.

Jongliert mit Tellern und Löffeln. David Burlett beherrscht außerdem erstaunliche Tricks mit Zauberwürfeln.

© Andrey Kezzyn

Was die Akrobatik angeht, hat Rodrigo Funke gute Casting-Arbeit geleistet. Es sind atemberaubende Nummern zu sehen. Die junge Ukrainerin Ameli Bilyk etwa, die auf dem Schlappseil, einer klassischen Zirkusdisziplin, einen einhändigen Handstand und – autsch – gleich mehrere Spagate hinlegt.

Das Einrad-Comedy-Duo Die Farellos im Wintergarten Varieté.

© Ben Duentsch

Ebenso virtuos und noch dazu lustig ist das Einrad-Comedy-Duo Die Farellos, die auf dem Einrad zweistöckig über die Bühne radeln und dabei auch noch Seil springen. In der clownesken Sparte kann auch der Jongleur David Burlet aus Frankreich gut mithalten, der nicht nur Teller kreisen lässt, sondern auch blind Zauberwürfel farblich sortieren kann.

In Sachen Tempo und Lautstärke der Beschallung, haut „Varieté Gaga“ voll auf die Zwölf. Der einzige kontemplative Moment in der Show, deren Artistik von stampfenden Pop- und Rocknummern angetrieben wird, gehört Jack Woodhead, der nach vollendeter Metamorphose zum Showstar am Flügel Rio Reisers Ballade „Für immer und dich“ anstimmt.

Jack Woodhead und sein Bechstein-Flügel.

© Andrey Kezzyn

Seltsam nur, dass der stilisierte Rio-Reiser-Platz, den die Videoprojektion dazu zeigt, wie eine Grünanlage aussieht. Dass Woodhead sich als Multiinstumentalist zeigen kann, der außer dem Piano auch Querflöte spielt, macht die Show musikalisch interessanter als allfällige Mitklatscheinlagen.

Aber klar, „Varieté Gaga“ ist eine Party, Rahmenhandlung hin oder her. Zirzensische Attraktionen am Trapez und in der Jonglage treffen Comedy-Gags und Gastgeber Jack Woodhead, der über weite Strecken der Show ungewohnt seriös daherkommt. Am Ende setzt es Premierenjubel und klingelnde Ohren.