Wer am Donnerstag den Literaturnobelpreis bekommen könnte: Can Xue vor Haruki Murakami und César Aira
Im Grunde müsste Salman Rushdie dieses Jahr den Literaturnobelpreis verliehen bekommen, wenn am Donnerstag um 13 Uhr wieder die Tür der Schwedischen Akademie in Stockholm aufgeht und Jurysprecher Mats Malm vor die versammelten internationalen Medien tritt. Schon nachdem der britische Schriftsteller sich 2023 überraschend schnell von den Folgen des Attentats erholt hatte, setzten sich prominente Stimmen dafür ein, ihm den Preis zu geben, aus politischen und literarischen Gründen.
Hier Rushdies dauerhafter Kampf für die Meinungsfreiheit, dort sein umfängliches, zum Teil großartiges Werk von „Mitternachtskinder“ bis zu seinem jüngsten Roman „Victory City“, der nach dem Attentat veröffentlicht und durchweg begeistert aufgenommen wurde.
Den Literaturnobelpreis 2023 aber bekam der norwegische Schriftsteller und Theaterstückschreiber Jon Fosse.
Gurnah, Glück, Handke
Die Schwedische Akademie, das brachte sie mit dieser Entscheidung einmal mehr zum Ausdruck, lässt sich nicht so gern von außen diktieren, wen sie auszeichnen soll. Man denke nur an die Literaturnobelpreise 2021 und 2020, da die Akademie für die literarische Weltöffentlichkeit Abdulrazak Gurnah und Louise Glück entdeckte, und an den 2019 für Peter Handke, einer der umstrittensten der vergangenen Jahre.
Insofern dürfte es Salman Rushdie auch nichts nützen, dass er 2024 seine Festspiele mit der Rückkehr auf die Lesebühnen und dem ebenfalls großartigen Attentatsaufarbeitungsbuch „Knife“ fortgesetzt hat. Einziger Pluspunkt für ihn womöglich: Bei Ladbrokes, dem britischen Wettanbieter, steht Rushdie dieses Mal unter ferner liefen, mit einer Quote von 25: 1 gleichauf mit beispielsweise dem norwegischen Kollegen Dag Solstad, dem Rumänen Mircea Catarescu und dem US-Amerikaner Don DeLillo.
Auch Norbert Gstrein wird gehandelt
Denn auch wer bei Ladbrokes ganz oben steht und mit den besten Quoten gehandelt wird, also dem wenigsten Geld für einen Einsatz, bekommt den Preis am Ende selten bis nie (Ausnahme Herta Müller 2009, da gab es eine undichte Stelle). Also kann man vor allem problemlos schlecht bezahlte Wetten darauf abschließen, dass es Haruki Murakami nicht wird. Seit vielen Jahren steht der japanische Schriftsteller in den Top drei der Buchmacher, und seit vielen Jahren wird sein Werk von der Schwedischen Akademie für zu leicht befunden, für womöglich nicht literarisch genug. Bei allen Qualitäten, die es aufweist.
18
Mitglieder zählt die Schwedische Akademie, die den Literaturnobelpreis vergibt
Ladbrokes führt Murakami auf Platz zwei (auch andere Anbieter haben ihn weit oben), gleich nach der chinesischen Schriftstellerin Can Xue, die wie so viele Autorinnen und Autoren seit Jahren hoch gehandelt wird und schon von Susan Sontag als Literaturnobelpreisträgerin favorisiert wurde. Xue, die 1953 in Changsha als Deng Xiaohua geboren wurde – ihr Pseudonym bedeutet gleichermaßen schmelzender, schmutziger Schnee und reiner Bergschnee – ist eine mehr dem Experimentellen zugeneigte Autorin.
Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch bei Matthes & Seitz der Roman „Schattenvolk“. Ein weiterer Roman von ihr, „Liebe im neuen Jahrtausend“, war 2022 für den Internationalen Literaturpreis des Haus der Kulturen der Welt nominiert.
Xue und Aira erscheinen auf Deutsch bei Matthes & Seitz
Ebenfalls wie Xue und Murakami seit Jahren, um nicht zu sagen, Jahrzehnten, ein Favorit: Der argentinische Schriftsteller César Aira. Dessen Markenzeichen: Kurzromane, die mitunter rätselhaft, dann wieder philosophisch-alltäglich und immer gut zu lesen sind. Auch viele seine Bücher sind in einer deutschen Übersetzung bei Matthes &Seitz erschienen.
Also Xue vor Murakami und Aira, mit deren Wahl man gut leben könnte? Oder doch Margaret Atwood, Peter Nadas, Gerald Murnane oder Anne Carson, allesamt ebenfalls langjährige Dauerfavoriten? Oder der österreichische Schriftsteller Norbert Gstrein, wie auch immer dieser auf die Ladbrokes-Liste gelangt ist? (Die österreichischen Medien sind jedenfalls schon ganz aus dem Häuschen).
Wie gesagt: Die Schwedische Akademie hat ihren eigenen Kopf, genauer: achtzehn Köpfe, so viele Mitglieder zählt sie. In den vergangenen Jahren war sie unberechenbar. Bis auf 2022, als sie Annie Ernaux auswählte. Die französische Schriftstellerin mit ihren autofiktiven Büchern wurde 2021 erstmals hoch gehandelt, wie aus dem literarischen Nichts, ein Jahr später bekam sie den Preis verliehen. Das wiederum könnte für Salman Rushdie sprechen.