Der 1. FC Union verpasst Tabellenführung um ein Tor

Die Mannschaft des 1. FC Union bewegte sich langsam auf die Waldseite zu und angesichts der dortigen Sprechchöre wurde das Grinsen des einen oder anderen Spielers noch breiter. „Deutscher Meister wird nur der FCU, nur der FCU, nur der FCU“, sangen die Berliner Fans, und so unrealistisch das im ersten Moment klingen mag, der Tabellenführung war Union noch nie so nah wie an diesem Samstagnachmittag vor 21.056. Zuschauern im Stadion An der Alten Försterei.

Nach dem vierten 2:1-Erfolg gegen Rasenballsport Leipzig in der Fußball-Bundesliga in Folge fehlte den Berlinern nur ein mickriges Törchen für den Sprung auf Platz eins. „Schade“, sagte Abwehrchef Robin Knoche mit einem Augenzwinkern, bevor er zur üblichen Köpenicker Bodenständigkeit überging. „So weit bin ich im Kopf nicht. Im Kopf bin ich erst mal bei einem hoffentlich freien Sonntag und Montag.“

Wie schon in den vergangenen Duellen protestierten die Berliner Fans nicht nur mit Bannern und Sprechchören gegen das österreichisch-sächsische Franchise, sondern auch mit einem Stimmungsboykott in der Anfangsviertelstunde. Das Spielgeschehen bot allerdings auch nicht allzu viel Anlass zu Gefühlsausbrüchen. Die Leipziger hatten in den ersten zehn Minuten 82 Prozent Ballbesitz, doch Lücken in der kompakten Berliner Defensive fanden sie nicht. Unions Fans unterbrachen ihr Schweigen nur bei einem riskanten, aber gelungen Zweikampf von Christopher Trimmel, der Timo Werner den Ball im Strafraum robust abnahm.

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Als der Capo der Union-Ultras auf der Waldseite das Publikum bereits auf das Ende der Stille vorbereitete, wäre ihm Julian Ryerson beinahe zuvorgekommen. Nach einer Flanke von Andras Schäfer und Ablage von Janik Haberer schoss der Norweger auf das linke untere Eck, doch Mohamed Simakan klärte kurz vor der Linie.

Wenige Sekunden später legten die Fans dann aber richtig los – und erlebten kurz darauf einen Schreckmoment. Benjamin Henrichs spielte einen Ball hinter die Berliner Abwehrkette und der schnelle Werner überwand Torwart Frederik Rönnow mit einem cleveren Lupfer. Der Pfosten bewahrte Union jedoch vor dem Rückstand.

Abgesehen von dieser Großchance standen die Gastgeber defensiv aber sehr kompakt, verschoben clever und setzten mit zunehmender Spielzeit immer mehr eigene Akzente. Trainer Urs Fischer hatte im Vorfeld gesagt, dass es nicht reichen werde, sich nur im eigenen Strafraum einzumauern – und das beherzigte seine Mannschaft zusehends. Beide Mannschaften spielten formell in der gleichen 3-5-2-Formation, Leipzig interpretierte diese aber deutlich offensiver. So ergaben sich bei den Sachsen nach Ballverlusten große Lücken, in die Union wiederholt hineinstach. „Wir hatten einen guten Matchplan. Leipzig hat genau so gespielt, wie wir sie analysiert hatten“, sagte Trimmel.

Union nutzt Leipzigs Fehler eiskalt aus

Nach Leipziger Ballverlusten schaltete Union über Schäfer, Sheraldo Becker und Jordan Siebatcheu Pefok immer wieder gut um. „Wenn sie den Ball gewinnen, sind sie extrem stark, extrem schnell“, sagte Leipzigs Trainer Domenico Tedesco. „Wir hatten einen Bruch im Spiel und haben in Zonen gespielt, die gegen Union giftig sind.“ Eine Flanke von Becker verpasste Siebatcheu am Ende eines Konters noch knapp, doch wenig später führte eben jene Kombination zum 1:0. Die Leipziger wirkten verunsichert und das nutzte Union. Dieses Mal passte Siebatcheu in den Lauf von Becker und der Nationalspieler von Suriname schoss den Ball nach einem sehenswerten Haken mit dem schwächeren linken Fuß ins lange Eck.

Würden die Berliner auf der Anzeigetafel eine Livetabelle einblenden, die Fans hätte ihre Mannschaft in diesem Moment zum ersten Mal an der Spitze gesehen. Entzückt war das Publikum dennoch und Becker verpasste mit einem Schuss aus spitzem Winkel kurz vor dem Pausenpfiff sogar noch das 3:0.

In der Kabine gelang es Tedesco seinem Team wieder den nötigen Fokus zu vermitteln und Rasenballsport schnürte Union nun am Strafraum ein, doch zu klaren Abschlüssen reichte dieses optische Übergewicht vorerst nicht. Die erste Chance der zweiten Halbzeit gehörte erneut Siebatcheu, seine Direktabnahme flog allerdings links vorbei. Doch so langsam lag der Anschlusstreffer in der Luft. Einmal konnte Ryerson noch in höchster Not klären, doch in der 83. Minute war es passiert. Willi Orban traf per Kopf, die Tabellenführung war dahin, doch das störte niemanden, als Schiedsrichter Deniz Aytekin endlich abpfiff.