Tag 9 bei der Berlinale: Berlins Universal Tellerwäscher

„Wer hat denn Deine Turnschuhe bezahlt, oder Dein Handy?“ Uli starrt seinen Kumpel Max wütend an. „Alter, hast Du einen Tag in Deinem Leben gearbeitet für Geld?“ Danach streiten sie weiter, versöhnen, boxen, umarmen sich – zwei Schulkumpels, die längst in verschiedenen Welten leben, nun aber in einer Telefonzelle eingesperrt sind, die von der Polizei umstellt ist. „Baba Kush“ ist ein schöner Film. Auf der Berlinale wird ihn niemand zu sehen bekommen.

„Der Film ist meine Gesellenprüfung“, sagt Leon Kluth und blinzelt in die Sonne vorm Zoo-Palast. Der 32-Jährige aus Braunschweig, der seit einem Jahr in Berlin lebt, hat schon in der Schule gern gedreht, danach an Filmsets der Regie die Sachen hinterhergetragen und irgendwann alles Mögliche verantwortet. Sein erster eigener Film dauerte drei Jahre von Drehbuch und Schauspielersuche bis zur Aufstellung der Telefonzelle und zum letzten Schnitt.

„Ich hab Geräusche gemacht, das Filmplakat gemalt, alles von A bis Z“, erzählt Leon Kluth, „aber ich hatte vergessen, was nach Z kommt – dass ich das Ding noch verkaufen muss.“ Tausende Euro hat ihn sein Film gekostet, hat ihm Hautausschlag beschert wegen des Stresses und ein leeres Konto. Aber auch das schönste Gefühl: „Beim Dreh bin ich ein Fisch im Wasser. In der Kamera kann ich die Welt sehen, wie ich sie zeigen will.“

Regisseur Leon Kluth sucht einen Kinoverleih.

© Robert Ide

Ich habe Leon auf einer Berlinale-Party kennengelernt, bei der er begeistert von seinem Film erzählt hat, aber auch davon, dass ihn sich beim „European Film Market“ keiner ansehen wollte ohne Termine und Beziehungen, „das hat mich geknickt“. Neben ihm auf der Party saß Mathilde, eine Schauspielerin, die früher bei der Regie der Berlinale gejobbt hat und jetzt ebenfalls nach neuen Aufträgen sucht. Die 31-Jährige, die vor zehn Jahren aus Straßburg nach Berlin gekommen ist und noch ihren sechsjährigen Sohn zu versorgen hat, gestand nur knapp: „Finanziell wird es langsam eng.“

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Die Berlinale ist auch ein großer Arbeitsmarkt. 20.000 Schauspielerinnen und Schauspieler gibt es in Deutschland; nicht mal zehn Prozent von ihnen haben feste Stellen an Theatern. Hinzu kommen mehr als 500 Regisseurinnen und Regisseure. Wie es den meisten geht, wird unter den Roten Teppich gekehrt. Sie sind die „Universal Tellerwäscher“, die einst „Die Sterne“ besungen haben. Sie waschen wirklich Teller, sie tun nicht so.

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Leon Kluth will nun seine Kinotour im Zweifel selbst organisieren. „Das sind wieder tausende E-Mails. Aber ich bin es ja gewohnt, alles allein zu machen.“ Für die Einreichung bei Festivals hat er schon 1000 Euro ausgegeben. Den nächsten Film hat er trotzdem schon im Kopf: „Eine irre Liebesgeschichte über das Doppelleben eines Familienvaters, das unterm Weihnachtsbaum auffliegt – das wär geil.“

Der Film „Gondola“ mit Mathilde Irrmann (rechts) lief auf 66 Festivals.

© jip film & verleih

Vor zwei Jahren hatte Mathilde Irrmann ihren internationalen Durchbruch. Der verträumte Film „Gondola“ von Veit Helmer über zwei ineinander verliebte Mädchen in einer georgischen Bergseilbahn, der ganz ohne Dialoge, sondern nur mit Blicken die Magie der Liebe zeigt, lief in einem Dutzend Ländern im Kino an und schon auf 66 Festivals.

„Aber meine rote Linie waren Flüge zu den Premieren. Also habe ich die Weltpremiere in Tokio verpasst, das Frauenfilmfest in Kabul oder das Festival in Marokko.“ Lieber moderierte sie Veranstaltungen über die nachhaltige Umgestaltung des Kinos, etwa bei den Filmtagen in Hof. Bei der Berlinale, die sonst gerne die ganze Welt retten will, ist auf diese Idee noch keiner gekommen.

Leon sucht einen Verleih, Mathilde fahndet nach Rollen und Jobs in der Regie. Ihre Leidenschaft für das Kino verlieren sie nicht. „Wir werden immer Kunst machen“, sagt sie bei der Party und stößt mit Leon an. In zwei Wochen zeigt sie seinen Film in einer Upcycling-Werkstatt von Freunden in Neukölln, in der sie nebenbei ihren Träumen nachgeht. Ohne Roten Teppich, ohne Bezahlung. Aber aus Liebe zum Kino. Und dafür sind wir alle hier, oder?