Viel Platz für Gedanken

Vor den Eingängen der Ausstellungshäuser bilden sich Schlangen, es sieht aus, als herrsche großer Andrang, während drinnen meist gar nicht so viel los ist. Man vergisst schnell: So soll es ja sein, so ist es gedacht, die Corona-Konzepte greifen bei dieser Art Week. Die genaue Zahl der Gäste ist noch nicht bekannt, aber es fühlt sich an, als sei in diesen fünf Art-Week-Tagen viel los gewesen. Die heimischen Besucher:innen allein können die ambitionierten Ausstellungen in den Galerien, Museen und Projekträumen, die Events und Gespräch aber nicht füllen.

Und das internationale Publikum bleibt noch aus. Im Kindl in Neukölln kann man sehr entspannt zwischen den Malereien von Tatjana Doll herumwandeln. In Reinickendorf in den Wilhelm Hallen, wo acht Galerien eine Art Außenposten bezogen haben, ist ohnehin sehr viel Platz. Die Feuer-Installation vom angesagten Naturerkunder Julius von Bismarck kommt hier richtig gut zur Geltung. Auch in der Akademie der Künste, die ihre neue Ausstellung „Nothingtoseeness“ am ersten Tag vorsorglich bis Mitternacht öffnete, weil sonst bei solchen Anlässen alles aus den Nähten platzt, kann man unbehelligt seinen Gedanken nachhängen.

„Für mich ist hier gar nichts dabei“, raunt ein Besucher auf der Auguststraße seiner Begleiterin zu. Und wirklich, das Programm in den „37 Räumen“ war durchwachsen. Die gleichnamige legendäre Schau, die für die Berliner Kunstszene 1992 so prägend war, lässt sich nicht rekonstruieren. Alte Polaroids zeigen die graue Auguststraße vor 30 Jahren – man kann kaum glauben, wie es hier mal aussah. Mittlerweile haben sich die Straße, die Architektur und die Läden komplett geändert – und auch die Kunst. Die drei Ausstellungen im Haupthaus der Kunst-Werke sind schwer zu greifen. Man wünscht sich betreuten Kunstgenuss.

Im Hof singt am Nachmittag ein Chor Kompositionen des Künstlers Colin Self. Auch der frisch ernannte Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach taucht auf, silbriges Haar, dunkle Klamotten. Er kommt aus dem Umarmen und Grüßen kaum heraus; klar, die Kunst-Werke sind seine Homebase. Was sich nicht geändert hat: Es wird erst am späteren Nachmittag voll. Dann kommen viele Künstler mit Familie, mit Freunden. Die Berliner Szene ist wieder erwacht. Man hört von Vielen, dass sie sich an Events und Abendveranstaltungen erst wieder gewöhnen müssen. Große Erwartungen hat im Moment niemand, aber alle sind sehr froh über mehr als Nichts.