Klassenkampf und Sex : Karaoke-Party auf Hogwarts
Die Klassenverhältnisse zum Tanzen bringen, das klingt nach einer guten Challenge fürs TikTok-Zeitalter. Die Pet Shop Boys hatten schon 1987 mit „Rent“ den Song dazu veröffentlicht: „You dress me up / I’m your puppet /You buy me things / I love it / You bring me food / I need it / You give me love / I feed it“. Das Liebeslied einer ökonomischen Ko-Abhängigkeit mitsamt der Sehnsucht, einem höheren gesellschaftlichen Stand anzugehören.
Emerald Fennell bringt die Verhältnisse zwar nicht zum Tanzen, aber die Karaoke-Nummer in „Saltburn“ hat allemal TikTok-Potenzial. Auf solche Szenen legt es die britische Oscar-Preisträgerin (für das Drehbuch ihres Regiedebüts „Promising Young Woman“) allerdings auch an. Kein Wunder, dass „Saltburn“ im Internet bereits ein eigenes Meme-Genre gewidmet ist.
Sado-Maso mit „Altem Geld“
Oliver Quick (schon der Name klingt wie aus einem Dickens-Paralleluniversum) singt in „Saltburn“ das Lied einer sado-masochistischen Beziehung zum „Alten Geld“, in dessen Bann es den jungen Oxford-Studenten aus gewöhnlichem Elternhaus verschlägt. Die Zeilen aus „Rent“ krächzt er zunächst noch etwas unbeholfen, aber sein heimlicher Plan ist bereits in Gang gesetzt.
Die Party, auf der ihm das Mikrofon in die Hand gedrückt wird, entstammt mit ihrem MDMA-Ennui, dem Nuller-Jahre-Millennial-Soundtrack, getaucht in fluoreszierende Lichter, aber noch einem anderen kulturellen Referenzsystem als dem der höheren Töchter und Söhne. Dass Fennell von der HBO-Serie „Euphoria“ inspiriert ist, erkennen Fans schon daran, dass eine der Entdeckungen des Gen-Z-Phänomens, Jacob Elordi, das Objekt der Begierde verkörpert.
Der schmachtende Blick am Anfang gehört Oliver, gespielt von Barry Keoghan, der sich wie die Kamera von Linus Sandgren nicht sattsehen kann an dem sich aufreizend in der Sonne des englischen Landsitzes räkelnden Körper. (Elordi ist Anfang Januar auch als junger Elvis in „Priscilla“ zu sehen.)
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Oliver erspäht Felix gleich an seinem ersten Tag in Oxford, aber die Distanz zum Everybody’s Darling an der elitären Universität mit ihrer brutalen Hackordnung ist schier unüberwindlich. Mit seinen unvorteilhaften Wollpullovern und Nickelbrille spielt er optisch und statustechnisch in einer anderen Liga als die Cool Kids mit ihren Markenklamotten. Felix’ Augenbrauen-Piercing markiert in dem uniformierten Upper-Class-Habitus eine Differenz, die Oliver fasziniert.
Eine Fahrradpanne verschafft ihm Zugang zum inneren Zirkel, misstrauisch beäugt von Farleigh (Archie Madekwe aus „Gran Turismo“): ebenfalls ein Trustfund-Kid, herkunftsbedingt aber abhängig von der finanziellen Gunst von Felix’ Familie, die ihn quasi-adoptiert hat. Farleigh ist es auch, der Oliver beim Karaoke-Party zu seiner schauerlichen Performance auf die Bühne zerrt. Der gibt ihn irgendwann das Mikro zurück: „Das ist auch deine Geschichte.“ Zwei Emporkömmlinge, die sich um den einen Platz balgen, den ihnen die Eliten wie einen abgenagten Knochen zuwerfen. Die „Hunger Games“ von Saltburn.
Armutspornografie im Schloss
So heißt der Landsitz der Catton-Familie, ein gotisches Hogwarts-Anwesen, das Mutter Elspeth (Rosamund Pike), ein Ex-Model, das früher mit Britpop-Star Jarvis Cocker um die Häuser zog, wie eine Art Zombie-Regime führt. Die Umgangsformen auf Saltburn sind maximal gefühllos und apathisch. „Sie tut alles für ein bisschen Aufmerksamkeit“, seufzt Elspeth, als sie vom Suizid einer guten Freundin erfährt. Hausherr Sir James (Richard E. Grant) wirkt mit seinen irren Haaren und unangemessenen Kommentaren eher wie ein Hofnarr, seine Frau hingegen entwickelt schnell ein soziologisches Interesse am Halbwaisen Oliver mit seiner alkoholkranken Mutter.
Die Reichen zelebrieren ihre vermeintliche Großzügigkeit, die eher an Armutspornografie erinnert. Auch Felix’ Schwester Venetia (Alison Oliver) sieht in dem Jungen nur ein neues Spielzeug für ihre libidinöse Wohlstandsverwahrlosung. Alle wollen etwas von Oliver – und umgekehrt.
Sex fungierte schon in Fennells Debüt „Promising Young Woman“ als Waffe – die Carey Mulligans Figur gegen die Vertreter des Patriarchats einsetzt. In „Saltburn“ lassen sich mit Sex auch Klassengrenzen überwinden. Oliver erinnert an einen Vampir, wenn ihm die Monatsblutung Venetias von den Lippen tropft und er aus dem Badewasser schlürft, in dem Felix zuvor masturbiert hat. Der erste Gegner, dem er sich entledigt, ist – nach einer gemeinsamen Nacht – Farleigh. Oliver blüht auf, je mehr er sich die Körper der Saltburn-Bewohner einverleibt. Die graue Maus verwandelt sich in einen fein gemeißelten Adonis, der am Schluss triumphal durch das leere Anwesen tänzelt – in full frontal nudity.
Fennell, die vor zwanzig Jahren selbst in Oxford studiert hat, glasiert ihre eigene Prägung in der elitären Bildungsanstalt mit zuckersüßem Eye-Candy, das in seiner klassenbewussten Campiness auch 1990er Jahre Erotik-Thriller zitiert. Für eine Gesellschaftssatire – eine comedy of manners für die GenZ – ist „Saltburn“ zwar zu affektiert und zu sehr auf visuelle Effekte hin inszeniert.
Ausgezeichnet funktioniert Fennells Film hingegen als Stilübung in Popkultur-saturierter Dekadenz: die Musik, die Drogen, Glitzer-Make-up und goldene Engelsflügel, etwas Cool-Britannia-Nostalgie. Und im Hintergrund wabert die unartikulierte Panik vor einem Palaststurm: Nicht mal in ihren Gräbern sind die Reichen vor der Schändung durch den ungewaschenen Plebs sicher.