Zum Tod des Berliner Historikers Heinz Wewer: Sammler der letzten Post
Die Barbarei der NS-Zeit und die Tragödie der Shoah wird von der Geschichtswissenschaft weltweit untersucht. In renommierten Instituten und Institutionen. Darum erschien es fast unglaublich, als vor fünf Jahren ein Berliner Pensionär und Privatforscher mit einem großformatigen, mit vielen Abbildungen und bisher unbekannten Dokumenten bestückten Band unter dem Titel „Abgereist, ohne Angabe der Adresse“ buchstäblich Geschichte schrieb. Der damals schon achtzigjährige Autor war Heinz Wewer, bis zu seiner Pensionierung in Berlin zuletzt für „Internationale Beziehungen“ an der damaligen Hochschule (heute Universität) der Künste zuständig.
„Abgereist, ohne Angabe der Adresse“, war zur NS-Zeit die amtliche Standardantwort
Heinz Wewer, der Ende der vergangenen Woche mit nun 87 Jahren nach kurzer Krankheit in Berlin-Zehlendorf gestorben ist, galt als internationale Kapazität der im Angelsächsischen so genannten „Social philately“. Und „Abgereist, ohne Angabe der Adresse“, war zur NS-Zeit die amtliche Standardantwort, die Verwandte oder Freunde von Verhafteten, Verschwundenen und Ermordeten auf ihre Post an die bisherigen Anschriften der Verfolgten erhielten.
Heinz Wewer hat die entsprechenden Briefe und Postkarten gesammelt sowie, noch wichtiger, die raren Versuche der Opfer, aus ihren Gefängnissen und Lagern Nachrichten an die Außenwelt zu schicken. So konnte er bereits bei seinem ersten großen Buch unter anderem erschütternde Karten und Briefe des bald zu Tode malträtierten Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky aus dem Konzentrationslager Esterwegen an seine Frau Maud im Faksimile dokumentieren.
„Soziale Philatelisten“ interessieren also nicht Briefmarken, sondern der historisch-gesellschaftlich bedeutsame Inhalt von Poststücken. Heinz Wewer, der nie einen akademischen Titel besaß, hatte als junger Fulbright-Stipendiat Geschichte in den 1950er Jahren in den USA studiert, unter anderem bei Hannah Arendt in New York. Sie hat er wiedergesehen, als er 1961 für den Berliner RIAS als Kurzzeitjournalist vom Eichmann-Prozess in Jerusalem berichtete.
Besuchern seines fast verwunschenen Zehlendorfer Domizils, wo er mit seiner Frau, einer Musikerin, zwischen Büchern, Dokumentenschränken, Papierbergen und auch Notenblättern als Privatgelehrter lebte, hat er beeindruckt, wenn er mal eben ein Exemplar der amerikanischen Erstausgabe von Hannah Arendts Studie über den Totalitarismus aus dem Regal griff, mit Arendts persönlicher Widmung.
Später hat Heinz Wewer dann seine Dokumente nicht nur in Archiven oder bei Auktionen gefunden. Zwei inhaltsreiche Karten aus dem Jahr 1944 des von den Nazis verfolgten Dresdner Romanisten Victor Klemperer, dessen Tagebücher posthum zu Bestsellern wurden, hatte er 2000 bei einem Stockholmer Straßenhändler entdeckt, das Stück für etwa 10 Euro.
Vier Bände, darunter „Spuren des Terrors. Postalische Zeugnisse zum System der deutschen Konzentrationslager“, hat Wewer im Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig, vorgelegt. Mit bewegenden Entdeckungen wie den mit ihrem Urin geschriebenen Geheimbotschaften von polnischen Frauen im KZ Ravensbrück. Einen noch geplanten fünften Band konnte er nun wohl nicht mehr vollenden.
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