Bataclan-Drama im Kino: Heile Körper, versehrte Seelen 

Behutsam tastet die Kamera die Körper der Schlafenden ab. Sie scheinen keine Blessuren davongetragen zu haben. Ramón (Nahuel Pérez Biscayart) zuckt, als würde er schlecht träumen. Doch was ihn da im Schlaf heimsucht, ist kein Traum. Es sind seine Erinnerungen. Später, unter der Dusche, sieht man die blauen Flecken auf seinem Körper. Er hat sie vom Konzertbesuch im Bataclan mit nach Hause gebracht. Die tieferen Wunden jedoch klaffen in seinem Inneren: Ramón war in der Nacht des islamistischen Anschlags in dem Pariser Live-Club.  

Der Bataclan-Anschlag bewegt das französische Kino

90 Menschen sind im Bataclan am 13. November 2015 von Terroristen getötet worden. „Frieden, Liebe und Death Metal“ macht spürbar, wie das Massaker auch das Leben jener vergiftet, die scheinbar mit heiler Haut davongekommen sind. Im französischen Kino ist der Prozess der Aufarbeitung gerade in vollem Gang. Gleich drei Filme über das Pariser Attentat kamen in diesen Monaten in die deutschen Kinos. In „November“ von Cédric Jimenez geht es vorrangig um die Ermittlungsarbeit der Polizei, in „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ von Kilian Riedhof um das Leid der Hinterbliebenen. Isaki Lacuestas „Frieden, Liebe und Death Metal“ erzählt nun das nationale Trauma als Beziehungsdrama zweier Überlebender. 

Ramón und seine Freundin Céline (Noémie Merlant) ringen mit dem Erlebten, jeweils auf ihre eigene Art. Sie geht pragmatisch an die Sache heran, will vergessen und zur Tagesordnung übergehen. Sie steht auf, bestellt Lebensmittel online, wäscht die Wäsche und entsorgt die goldglänzende Wärmedecke vom Abend zuvor. Lacuesta nutzt das Vorwissen in den Köpfen seines Publikums. Es legt sich wie ein Schleier über jede Verrichtung. So ist der Anschlag von Beginn an präsent, auch wenn der Regisseur das Attentat selbst zunächst nicht ins Bild setzt. 

Als sich die beiden wieder auf die Straße wagen, mutet auch der Alltag um sie herum surreal an. Nicht nur, weil Soldaten mit Maschinenpistolen an den Kreuzungen stehen. Lacuesta erzeugt ein Gefühl der Überforderung, indem er Geräusche vom Soundcheck des „Bataclan“-Abends über das Geschehen auf der Straße legt. So schwer das Thema ist, mutet „Frieden, Liebe und Death Metal“ nie sperrig an. Alles greift fließend ineinander. Lacuesta bricht die Chronologie der Ereignisse auf, zeigt das Glück des Paares in der Zeit vor dem Attentat; und ihre Versuche, danach wieder zueinander zu finden. Aber auch, wie unbeholfen das Umfeld reagiert. 

Sehnsucht nach Normalität

Der spanische Regisseur, Jahrgang 1975, will sein Publikum mitreißen. Das gelingt ihm tatsächlich, vor allem dank der hervorragenden Hauptdarsteller:innen. Nahuel Pérez Biscayart („120 BPM“) und Noémie Merlant („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) finden genau das richtige Maß, sie vermitteln die Erschütterung, die Verzweiflung, aber auch die Sehnsucht nach einer unbefangenen Normalität.

Céline (Noémie Merlant) versucht die Erlebnisse der traumatischen Nacht zu verdrängen.
Céline (Noémie Merlant) versucht die Erlebnisse der traumatischen Nacht zu verdrängen.
© Studiocanal

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch des Überlebenden Ramón González. Er brachte seine Erfahrungen zu Papier, um sie zu verarbeiten. Auch im Film schreibt Ramón die Geschehnisse auf. Die Erinnerungen an die Nacht im „Bataclan“ blitzen zunehmend in die Handlung hinein. Zunächst fragmentarisch, ab der Hälfte dann immer länger. Der Regisseur verzichtet darauf, die Gewalt und die Terroristen selbst zu zeigen. Dennoch sind die Rückblenden eindringlich: Schreie, Schüsse, die Panik der Menschen, wie sie ineinander und übereinander rennen. Der Schein des Mündungsfeuers flackert auf Ramóns Gesicht. 

Die große Frage bei einem solchen Filmvorhaben ist immer: Wie will man adäquate Bilder für das eigentlich Unzeigbare finden? Es gelingt Lacuesta über weite Strecken durchaus. Das Leid der Opfer wirkt zu keinem Zeitpunkt instrumentalisiert. Selbst dann nicht, wenn in den Flashbacks Zeitlupen einsetzen und elegische Choräle erklingen. 

Problematisch wird es erst, als der Regisseur gegen Ende seine grundlegend zurückhaltende Herangehensweise durch einen abenteuerlichen Twist konterkariert: Plötzlich sollen die fast zwei Stunden einer anderen Realität entsprungen sein. So kollabiert die behutsam aufgebaute Statik des durchaus heiklen filmischen Unterfangens. Man rekapituliert noch einmal das Gesehene und fragt sich, ob diese Wendung wirklich aufgeht. Zum Schicksal von Ramón und Céline ist man da schon unwillkürlich auf Abstand gegangen.

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