Hacken, um die Welt zu retten: Die Brüder Weydemann landen punktgenau eine Klimaaktivistenserie

Die Apokalypse trägt ein ratloses Mädchengesicht. „Ich will nicht, dass wir an Hitze sterben. Ich will nicht, dass es Kämpfe um Nahrung und Wasser gibt. Aber wenn wir nichts machen, wird all das passieren. Was machen wir jetzt?“ fragt Anna in ihre Handykamera und stellt das Video online.

Das fragen sich die Umweltaktivisten der „Letzten Generation“ in der Realität und ihre weitaus radikaleren Abbilder vom „Letzten Widerstand“ in der Fiktion. Um sie dreht sich die Serie „A Thin Line“. Sie erzählt eine fiebrige, in raue Bilder übersetzte Geschichte, die punktgenau in eine Zeit passt, in der der Begriff „Klimaterroristen“ zum „Unwort des Jahres“ gekürt wird. Zeitgeist- und Diskursserie in einem. Durch das Regieduo Sabrina Sarabi und Damien John Harper mit mindestens so viel Interesse an Suspense und Emotionen umgesetzt. Unterhaltung mit Relevanz sozusagen.

Die Zwillingsschwestern Anna (Saskia Rosendahl) und Benni (Hanna Hilsdorf) sind Hackerinnen. Unter dem Namen Climate Leaks veröffentlichen sie brisantes Material, etwa über korrupte politische Machenschaften beim Autobahnbau. Den Chef der Cyberdelikte-Einheit, der beim BKA gegen Climate Leaks ermittelt, kennen sie blöderweise persönlich. Onkel Christoph (Peter Kurth) stammt wie ihre Mutter aus der Ökoszene der 80er Jahre. Das Familiendrama ist die Basis für eine Geschichte politischer Radikalisierung, bei der Benni als eine Art Wiedergängerin von Gudrun Ensslin bis zum Äußersten geht.

Jakob Weydemann, Produzent und Showrunner von „A Thin Line“.
Jakob Weydemann, Produzent und Showrunner von „A Thin Line“.
© Weydemann Bros./Peter Hartwig

Die Idee zu diesem Cyberthriller hatten die Brüder Jakob und Jonas Weydemann, die als Produzenten, Showrunner und teils auch als Drehbuchautoren fungieren. Mit ihrer Firma Weydemann Bros., zu der auch die Produzentinnen Milena Klemke und Yvonne Wellie gehörten, stehen sie für Arthouse-Erfolge wie Nora Fingscheidts Bären-Gewinner „Systemsprenger“, die gepriesene Beststellerverfilmung „Niemand ist bei den Kälbern“ und „Ivie wie Ivie“, das Selbstfindungsdrama zweier afrodeutscher Schwestern.

Jonas Weydemann, Produzent und Showrunner von „A Thin Line“.
Jonas Weydemann, Produzent und Showrunner von „A Thin Line“.
© Weydemann Bros./Peter Hartwig

Ein regnerischer Freitagmittag nähe Kottbusser Damm. Graffiti ziert die Eingangstür zum Berliner Büro der Weydemann Bros., die auch welche in Köln und Hamburg unterhalten. Drinnen in der verwinkelten Altbaubude stapeln sich Kisten mit den Überbleibseln abgedrehter Projekte. Das Klischee vom Produzentenmogul sieht anders aus. Stattdessen stellen sich zwei studentisch wirkende Jeansträger als Jakob und Jonas Weydemann vor.

Ersterer wurde 1982 geboren und hat Regie in Barcelona studiert. Letzterer ist Jahrgang 1985 und Absolvent der Berliner DFFB im Studiengang Produktion. Seit der Firmengründung 2012 arbeiten sie hier mit acht bis zehn Leuten an Stoffen. Außer der Serie „A Thin Line“, die sie innerhalb eines guten Jahres vom Konzept bis zur Ausstrahlung realisiert haben, standen 2021 noch vier Kinofilme auf dem Produktionsplan.

Das Bild, dass man als Filmproduzent nur ein Finanzier sei, der mit Summen jongliere und ökonomisch auf die Dinge gucke, ließe sich durchaus noch in den Köpfen finden, glaubt Jakob Weydemann. Dabei sei das Spannende am Produzentenjob, dass man sehr nah an Inhalten arbeite und eine Idee auch verkaufen können muss, um sie überhaupt finanziert zu kriegen. „Man darf das Rad jedes Mal etwas neu erfinden“, nennt Jonas das. Bei „A Thin Line“ ist das tatsächlich mit bewusstem Blick auf die aktuellen Diskurse geschehen.

Unterhalten wollen, Debatten anregen

Unterhalten wollen, Debatten anregen, das ist ein Ziel der Brüder. Sie interessiere es, gesellschaftliche Themen mit emotionalem fiktionalen Erzählen zu verbinden, sagt Jonas Weydemann. „Das ist es, was Unterhaltung schaffen kann.“ Dramatisieren, Charaktere zuspitzen, ein was-wäre-wenn Szenario entwerfen, über das die Zuschauer hinterher reden. Glaubt man den Weydemanns, gelingt das im Arthouse-Film selten genug, so ein Momentum zu finden. Ihnen ist es mit „Systemsprenger“ gelungen.

Dass ihre Produktionen in der Herstellung wie im Konsum energieintensiv ausfallen, ist den Schöpfern der Aktivisten-Serie klar. Jeder Film verschwende Ressourcen, die gar nicht mehr vorhanden seien, sagt Jakob Weydemann. „Das ist ein Dilemma der gesamten Gesellschaft, nicht nur der Filmbranche, aus der wir einen Ausweg finden müssen.“ Immerhin haben sie „A Thin Line“ nach Green-Production-Kriterien gedreht. Ein Label, das mangels grüner Film-Infrastruktur immer noch aus vielen Kompromissen besteht.

Womöglich haben die Mitglieder der „Letzte Generation“ auch deswegen die Sympathien des Produzentenduos. Zwar drehe sich die durch deren Aktionen ausgelöste Debatte zu sehr um die Mittel, statt um den Zweck, glaubt Jakob Weydemann. Aber ziviler Ungehorsam und radikaler Protest, der auf Missstände aufmerksam mache, dürfe Gesetzen überschreiten. Sein Bruder Jonas nickt. Wie es auch die auf Gewaltlosigkeit pochende Serienheldin Anna tun würde.

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