Die dramatisch Magische: Zum Tod von Elisabeth Trissenaar
In früheren Zeiten hätte man sie eine Diva genannt. Natürlich war die groß gewachsene, von ihrer mächtigen Lockenmähne gekrönte Elisabeth Trissenaar in den Theater- und Filminszenierungen ihres Mannes Hans Neuenfels immer die Primadonna. Aber keine „assoluta“, keine absolute Göttin, sondern selbst als bewunderte Protagonistin ein Kind der sehr säkular um mehr Theaterdemokratie und feministisch-solidarische Frauenbilder kämpfenden späten Sechzigerjahre. Elisabeth Trissenaars Autorität gründete allein auf ihrer künstlerischen Begabung, und die ist nie ganz demokratisch gesät.
Ein Paar, eine Paarung wie das Duo Trissenaar-Neuenfels hat es auf der modernen Szene kaum sonst gegeben. Zwei Jahre nach dem Tod von Neuenfels ist nun in der Nacht zum Montag Elisabeth Trissenaar in der Berliner Charité, wie ihre Familie mitteilt, im Schlaf verstorben. Drei Monate vor ihrem 80. Geburtstag. In ihrer Geburtsstadt Wien hatten sich der wilde Hans aus dem teutonischen Krefeld und die österreichische Sissy (so von allen Freunden genannt) schon als Eleven des Max-Reinhardt-Seminars verliebt. Ab dem berühmten Jahr ’68 rockten die beiden, zusammen mit Spielern wie Ulrich Wildgruber oder Gottfried John, zunächst das Heidelberger Stadttheater unter dem Talente fischenden Intendanten Peter Stoltzenberg, dann bei und mit Peter Palitzsch das Stuttgarter Staatsschauspiel, bis es über furiose Jahre in Frankfurt am Main nach Berlin ging und nebenbei auch nach Wien oder zu den Salzburger Festspielen. Selbst in Neuenfels’ Operninszenierungen trat die Trissenaar auf, etwa als Frosch in der „Fledermaus“, als neu erdachte Spielleiterin in der „Zauberflöte“ oder als Narr in Reimanns „Lear“ (beide an der Komischen Oper Berlin).
Ihr Herz schlug am stärksten für das Theater
Zwischenzeitlich avancierte sie durchaus auch zum Filmstar: in Fassbinder-Filmen wie „Bollwieser“, „Die Ehe der Maria Braun“ oder in „Berlin Alexanderplatz“, bei Robert van Ackeren in „Das andere Lächeln“ oder in der anrührenden Hauptrolle der verfolgten jüdischen Studentin Rosa (neben Armin Müller-Stahl) in Agnieszka Hollands Oscar-nominiertem Kriegs- und Widerstandsfilm „Bittere Ernte“ von 1985. Doch Elisabeth Trissenaars Herz schlug am stärksten für das Theater. Für das Ergründen, Entdecken, Erfinden von dramatischen Figuren, die sie mit einer ungeheuren stimmlichen, gestischen Präsenz als verkörperte Poesie lebendig werden ließ.
Legendär natürlich ihre Frankfurter Medea, die sie als Opfertäterin in einem von der Raserei bis zum Slapstick (mit rosa Gummipimmeln) erfüllten Antiken- und Sexualpanoptikum von Hans Neuenfels wachgerufen hat. Das ließ im Privaten beinahe die Ehe des Paars explodieren, geriet 1976 zu einem Premierenmegaskandal – und wurde danach zum Triumphgastspiel beim Berliner Theatertreffen. Unvergesslich auch drei Jahre später Trissenaars Kunigunde von Thurneck in Kleists „Käthchen von Heilbronn“ im Schauspiel Köln. Neben Katharina Thalbachs holdem Käthchen hatte sich Trissenaar in einer Inszenierung des vor einem Jahr verstorbenen Regisseurs Jürgen Flimm (so viele Vermisste!) in ein aasiges Monster verwandelt. In eine Cyborg-Magierin, deren böser Finger nicht mehr von dieser biologischen Welt war, was Trissenaar im Geiste Kleists mit modernster Gegenwärtigkeit spielte.
Der Durchbruch als „Nora“
Überhaupt hatte sie, wie ihr Mann, einen Sinn für literarische Subtexte. Das kann man auch nacherleben bei Trissenaars wunderbaren Hörbuchaufnahmen, etwa als „Fräulein Else“ in Arthur Schnitzlers gleichnamiger Erzählung mit ihrer abgründigen Erotik. Dabei klingt das heimische Idiom wie fast immer an. Doch sie konnte das weiche, melodische Wienerische jederzeit auch ins Harte, Hochdramatische verwandeln und von charmanter Sanftmut zu eisiger Schärfe wechseln. In dieser Sissy, die einst im wirklichen Leben hat ansehen müssen, wie ihre Mutter in eine Nervenheilanstalt abtransportiert wurde, steckte statt einem süßen Mädel wohl schon früh eine schöne, selbstbewusst kämpfende Frau.
Bei ihrem Durchbruch vor einem halben Jahrhundert hat sie das auch als Stuttgarter „Nora“ gezeigt, in Ibsens Stück über den Schein einer Höllenehe. Nora soll für ihren Mann spätnachts eine Tarantella tanzen, doch Trissenaar spielte den Tanz starr steif, während der Mann sie stattdessen umkreist. In seinem autobiografischen „Bastardbuch“ hat Neuenfels das so beschrieben: „Er schien sie zu peitschen wie einen Kreisel. Sie blieb unbewegt, aber steigerte sich stimmlich derart emotional hoch, dass man glaubte, sie drehe sich wie rasend und würde jeden Augenblick vor Spannung zu Boden fallen und zerschmettert liegen bleiben.“ Ein Wahnsinn, bei dem sich „die Kapsel der bürgerlichen Norm selbst sprengt. Es geht immer um Kälte oder Hitze, und die Wärme bleibt Sehnsucht“. – Jetzt bleibt Trauer.