Fotoausstellung „Entlang der Oder“: Alte Heimat, neue Heimat und Menschen am Fluss
Die Fotografen der 1990 im wiedervereinigten Berlin ins Leben gerufenen Ostkreuzagentur, mit Gründungsmitgliedern wie Harald Hauswald und Ute und Werner Mahler, stehen für eine Dokumentarfotografie an der Schnittstelle zur Kunst.
Statt mit journalistischem Spürsinn zu zeigen, wie das Leben ist, geht es darum, Stimmungen einzufangen, mit Licht und Schatten zu arbeiten, den eigenen Ausdruck zu finden.
Diesen Ansatz vermittelt auch die 2005 aus der Agentur hervorgegangene Ostkreuzschule an ihre Studierenden. Etwa 30 junge Fotograf:innen sind es pro Semester, die sich in Berlin ausbilden lassen. Der Umgang mit der Technik ist nur ein Aspekt, der beim Fotografieren eine Rolle spielt, so erklären es Studierende und Studiengangsleiter beim Ausstellungsrundgang. Ebenso wichtig sei es aber, ein Gefühl für Stimmungen zu entwickeln, zu lernen, wie man überhaupt ein Thema findet, wie man etwas sichtbar macht, ohne Klischees abzubilden.
Das Ziel eines Fotografen sollte es heute sein, interessantere Bilder zu erzeugen, als die, die jeder täglich mit dem Handy knipst. Das will genauso geübt sein wie Ausstellen, Rahmen, Präsentieren. Projektarbeit steht bei Ostkreuz deshalb schon früh auf dem Plan.
In nur drei Monaten mussten die Fotos im Kasten sein
Im Frühjahr 2022 machten sich 14 Studierende mit ihren Kameras auf den Weg in die Oderregion. So entstand die Ausstellung „Entlang der Oder“, die jetzt auf Schloss Neuhardenberg in Brandenburg als dritte Station zu sehen ist. Die Oderregion im deutsch-polnischen Grenzgebiet birgt historische Wunden, kündet von Versöhnung, ist reiche Kulturlandschaft, Industriestandort, Erholungsgebiet, Heimat.
Tragischer Aufmerksamkeitshöhepunkt war das Fischsterben im Sommer 2022, von dem zunächst nicht klar war, wodurch es ausgelöst worden war. Inzwischen vermutet man, dass eingeleitete Industriesalze zur Vermehrung einer giftigen Algenart geführt haben. Die Studierenden waren kurz vor der Umweltkatastrophe unterwegs. Man sieht ihre Auswirkungen nicht unmittelbar in den Bildern, auch wenn das Verhältnis Mensch, Natur, Fluss und Industrie in vielen Motiven ein Echo findet.
Klar, es geht hier auch um Fische. Beziehungsweise, um diejenigen, die sie aus dem Wasser holen. Tim Gassauer fotografierte die Angler an der Oder, er hat Vereine besucht, war fasziniert von einem Hobby, das ein bisschen prollig und derb sein kann, gleichzeitig aber auch durch Ruhe und die Verbindung zur Landschaft geprägt ist.
Angler gehören zur Oder
Die Bilder, die er aus seiner Serie zeigt, liegen weit jenseits jedes Anglerklischees. Eines zeigt den silbrigen Körper eines Fisches im silbrigen Netz, dabei funkelt das Drahtgeflecht im Licht und verschmilzt mit der Oberfläche des Wassers. Ein kunstvolles, geheimnisvolles Bild, das ganz für sich steht. Ein anderes zeigt den Oberkörper eines Jungen im sportlichen Dress. Vermutlich beim Angeln, durch die starke Nahsicht, von oben fotografiert, ist das nicht so ganz klar.
Das Ziel des Fotoprojekts war es, die Oderregion „neu zu entdecken“. Das klingt selbst nach einem Klischee. Wer will denn nicht die Welt immer wieder neu sehen? Misst man die Ausstellung an ihrem Anspruch, ist sie gelungen. Die zwölf Bilderserien zeigen sehr unterschiedliche Facetten der Grenzregion.
Unterschiedliche Facetten der Grenzregion
Tanya Sharapova, die noch vor dem Krieg gegen die Ukraine aus Moskau nach Berlin zog, nahm sich vor, geflüchtete ukrainische Jugendliche zu fotografieren. Sie fotografierte Mädchen und Jungen vor und rund um ein Rot-Kreuz-Flüchtlingsheim in Frankfurt/Oder.
Florian Gatzweiler und Alexander Levin hatten ein ähnliches Anliegen. Sie fanden ihre Protagonisten auf einem Spielplatz in Slubice, auf der polnischen Seite der Grenzstadt. Die Porträts und Landschaftsaufnahmen lassen spüren, dass man auf ein gutes Bild manchmal lange warten muss. Geduld ist gefragt, viele Besuche vor Ort, das Geschick, mit Menschen in Kontakt zu treten und ihr Vertrauen zu gewinnen. In den Bildern von Gatzweiler und Levin sind die jungen Männer ganz mit sich selbst beschäftigt, sie bemerken die Kamera gar nicht mehr, wie sie so im Freien zusammensitzen.
Eine weitere Serie porträtiert Berlin-Aussteiger, die es in den Oderbruch verschlagen hat. Auch das ein Klischee, dem Nils Böddingmeier entkommt, indem er die Menschen mal von weit weg zeigt, mal nur die Häuser hinter Bäumen verborgen, einen blutigen Zeh im Gras.
Aus Blech wird Gold
Poetisch ist die Serie „Midas“ von Louis Roth, der rostige Fundstücke aus der Oder gesammelt und im Studio einzeln vor grauem Hintergrund porträtiert hat – wie den Goldschatz des König Midas. Die Oder hat Müll in Gold verwandelt, das wäre die romantische Interpretation.
Die Stiftung Schloss Neuhardenberg mit Veranstaltungssälen, Hotel, Schinkelkirche, Park und eigenem Ausstellungshaus hat sich vorgenommen, der Fotografie Raum im vielfältigen künstlerischen Programm mit Musik, Lesungen und Kunst zu geben.
Die Fotos hängen nicht im Ausstellungshaus selbst, sondern im Foyer des großen Saales, in der Kleinen Orangerie und im Flur des Hotels, das steht ihnen mal mehr, mal weniger gut, bietet aber einen tollen Parcours durchs ganze Areal.