Konzeptalbum des Kuss Quartetts: Der Klang der Krise

Kann man die Krise hören? Sie klingt fahl und obertonreich, bevorzugt die Tonart d-moll, klingt mal nach rasendem Stillstand, mal nach einem sich auflösenden Ich, nach elegischer Wehmut oder schneidendem Trotz. Die Bögen zittern, dass einem bang werden kann.

Das Kuss Quartett – mit Jana Kuss, Oliver Wille, William Coleman und Mikayel Hakhnazaryan – ist berühmt für seine Konzeptalben. Zum Jahreswechsel bringt es nach dem Corona-Album „Berlin FREIZeit“ eine CD unter dem Titel „Krise Crisis“ heraus. Darauf sind Ausschnitte aus Haydns „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers“ („Mich dürstet“) sowie aus Verzweiflungs- und Selbstbehauptungs-Politwerken von Bartók, Schostakowitsch und Janácek versammelt. Dazu das Katastrophen-Scherzo aus Schuberts „Der Tod und das Mädchen“, aber auch Neue Musik, etwa Steve Reichs Trauma-Stück „WTC 9/11“, mit verfremdeten Stimmen und Stimmungen.

Frappierend sind allein die oft nahtlosen Übergänge, die Korrespondenzen über die Jahrhunderte hinweg. Wobei die Konzeptidee aus der Zeit vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs stammt.

Die neuen Stücke sind teilweise Auftragswerke des in Berlin ansässigen Quartetts. Francesco Ciurlo spürt in „Hasta pulverizarse los ojos“ seiner nomadischen Existenz nach, kämpft sich durch Nebelbänke. Birke Bertelsmeiers „Krise“ dreht sich im Kreis des musikalischen Erbes und sucht nach einer Exitstrategie, während Óscar Escudero eine bizarre Show mit Fragmenten aus algorithmus-basierten künftigen Haydn-, Mozart- und Beethoven-Quartetten präsentiert.

Die Gegenwart als Zumutung auch physischer Natur, die Zukunft als Projektionsfläche: In dem mit Verve vorgetragenen Finale aus Bedřich Smetanas 1. Streichquartett mündet der Tanz auf dem Vulkan in schrille Schockstarre, gefolgt von einem feinen, verzagten Hoffnungsschimmer. Aus der Krise wächst ja vielleicht auch das Rettende. (seit Ende November bei den Streamingdiensten, ab Januar als CD bei Rubicon)

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