Hertha BSC und der drohende Abstieg: Selbst bei der sportlichen Führung wachsen die Zweifel
Am Dienstag gestaltete sich die Situation bei Hertha BSC schon deutlich besser als am Montag. Aber schlimmer hätte es auch gar nicht werden können. Am Montag, beim Trainingsauftakt vor dem Heimspiel gegen den VfL Bochum (Samstag, 15.30 Uhr), fehlten sämtliche Innenverteidiger aus dem Kader des Berliner Bundesligisten. In den sozialen Medien rief das unter anderem hämische Reaktionen hervor: Dass Hertha ohne Abwehr spiele, sei ja nichts Neues.
Doch dazu wird es gegen Bochum nicht kommen. Schon am Dienstag war Agustin Rogel zurück auf dem Platz. Marton Dardai, den Wadenprobleme plagen, trainierte zwar noch individuell, dürfte am Wochenende aber zur Verfügung stehen.
Nur bei Marc Kempf und Filip Uremovic, zuletzt die Stammbesetzung in der Innenverteidigung, sieht es nicht gut aus. Während bei Kempf (Rippenprellung) noch leichte Hoffnung besteht, fällt Uremovic definitiv aus. Dem Kroaten ist wegen der Gehirnerschütterung, die er bei der Niederlage in Köln erlitten hat, Sportverbot erteilt worden.
Die komplizierte Personalsituation könnte dem erst 18 Jahre alten Pascal Klemens am Samstag die Chance auf sein Bundesligadebüt eröffnen – und dem Publikum einen ersten Blick in die nahe Zukunft erlauben. Kurz- und mittelfristig ist Talenten wie Klemens bei Hertha eine deutliche größere Rolle zugedacht. Zum einen, weil sich der Klub teure Stars erst einmal nicht mehr wird leisten können. Zum anderen, weil er sich bei selbstausgebildeten Spielern eine höhere Identifikation mit dem Verein erhofft.
Die Zukunft soll so aussehen, dass wir den Kader nicht mit irgendwelchen Söldnern bestücken.
Andreas „Zecke“ Neuendorf, Direktor Akademie und Lizenspielerabteilung bei Hertha
„Die Zukunft soll so aussehen, dass wir den Kader nicht mit irgendwelchen Söldnern bestücken“, hat Andreas „Zecke“ Neuendorf, der Direktor Akademie und Lizenzspielerabteilung, am Sonntag bei Herthas Mitgliederversammlung gesagt. „Man muss sich das Trikot verdienen.“
Berliner Weg nennen sie das bei Hertha. Und die Mitgliederversammlung am Sonntag war so etwas wie ein Hochamt für diesen Berliner Weg. Beziehungsweise: Sie war die Generalabrechnung mit der Gegenwart, mit der Vergangenheit – und vor allem mit der aktuellen Mannschaft, die in der Bundesliga noch mitten im Kampf gegen den Abstieg steckt.
Zwei Spiele sind es noch. Beide Spiele muss Hertha gewinnen, um sich die Chance auf den Klassenerhalt überhaupt noch zu bewahren. Doch anstatt die Mannschaft in diesem Bemühen mit aller Macht zu stärken, hat Herthas sportliche Führung in den vergangenen Tagen vor allem ihre Zweifel kundgetan. Offenbar sind sie so massiv, dass die Verantwortlichen jegliche Zurückhaltung aufgegeben haben.
Trainer Pal Dardai hat schon unmittelbar nach der deprimierenden 2:5-Niederlage am Freitagabend in Köln kein gutes Haar an seiner Mannschaft und an der Zusammenstellung des Kaders gelassen. Am Sonntag legte Neuendorf bei der Mitgliederversammlung nach. Mit teils harschen Worten.
Er persönlich sei mit dem aktuellen Kader nicht glücklich, klagte Herthas früherer Spieler, Jugend- und Co-Trainer. „Wir haben fünf Transferperioden gehabt, um eine ordentliche Mannschaft hinzustellen – und das ist jetzt das Werk“, sagte Neuendorf mit Blick auf die Arbeit des früheren Sportgeschäftsführers Fredi Bobic. „Hätten wir mit 18 Jugendspielern von Hertha BSC gespielt, stünden wir mit Sicherheit nicht schlechter da.“ Ihm fehlten bei den aktuellen Profis „einfach Herz und Leidenschaft für den Verein“.
Hertha braucht Geld, um zum Erhalt der Lizenz die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der neuen Saison nachweisen zu können. Dazu wird der Klub auch Transfererlöse in nennenswertem Ausmaß erzielen müssen. „Jeder Spieler ist verkäuflich“, sagte Neuendorf. „Keiner hat den Nachweis erbracht, dass er erstligatauglich ist.“
Dieser Deutung ist mit Blick auf die Tabelle nur schwer zu widersprechen. Hertha ist Letzter, hat den drittschwächsten Sturm der Liga und die zweitschlechteste Abwehr. Trotzdem ist es ungewöhnlich, den eigenen Kader, zumal in einer solchen Situation derart niederzumachen. Es spricht für die tiefe Enttäuschung, die bei Neuendorf und Dardai, zwei Identifikationsfiguren des Vereins, vorherrscht.
Neuendorf klagte, dass sich in den vergangenen Jahren kein Spieler bei Hertha wirklich verbessert habe. Dardai machte dafür neben der Eigenmotivation der Spieler („Will ich mich verbessern?“) die schlechte Transferpolitik des Vereins verantwortlich. Hertha habe Spieler ohne Entwicklungspotenzial verpflichtet. „Wenn du zufrieden bist mit deinem Leben, deinem Auto, wenn alles schön ist und Schickmicki, dann kommt keine Leistung“, sagte Dardai. „Du braucht Spieler mit Willen und Biss und Mentalität.“
Herthas Trainer wurde zum Auftakt der neuen Woche auch gefragt, wie seine Spieler die derbe Niederlage in Köln mental verkraftet hätten. „Du kannst nicht sehen, dass sie ein anderes Gefühl haben“, antwortete er. „Das sind Profis.“