„Allein die Kuratoren entscheiden“

Herr Farenholtz, Sie sind als Interims-Nachfolger von Sabine Schormann erst kurz im Amt, schon gibt es den nächsten Skandal. Angeblich waren Sie über die Broschüre mit den antisemitischen Bildern nicht informiert. Wie kann das sein?
Ich bin seit knapp zwei Wochen da, der Vorgang liegt drei Wochen zurück. Eine Besucherin wurde damals auf die Zeichnungen aufmerksam und wendete sich an eine Aufsicht, mit der Bitte, die Bilder zu untersuchen. Die Documenta hat das Material angeschaut und es vorsorglich der Staatsanwaltschaft beziehungsweise der Polizei übergeben.

Es stellte sich schnell heraus, dass es strafrechtlich nicht relevant ist. Es wurde auch auf Antisemitismus-Themen überprüft und man ist damals zu dem Ergebnis gekommen, dass man es wieder in die Ausstellung einbringen kann. Vor allem, weil das Material dokumentarischen Charakter hat, es stammt aus den 1980ern und adressiert einen Konflikt der Zivilbevölkerung mit dem Militär.

Also alles gut, das meinen Sie nicht ernst?
Zwei handwerkliche Fehler sind passiert. Man hat die Beschwerdeführerin nicht über den Umgang mit der Beschwerde auf dem Laufenden gehalten. Das führt dazu, dass sie ihre Beschwerde, bei einem erneuten Besuch, bei dem sich aus ihrer Sicht nichts verändert hatte, an eine andere Stelle weitergegeben hat. Der zweite Fehler war, dass die künstlerische Leitung der Documenta nicht aktiv entschieden hat, ob für diese Broschüre in der Ausstellung eine Kontextualisierung notwendig ist – oder eben nicht. Man hat sie einfach wieder hineingelegt.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias Hessen) sieht in den Zeichnungen israelischer Soldaten deutliche antisemitische Stereotype. Die Documenta kommt zu einem anderen Ergebnis. Wer hat recht?
Ich bin der festen Überzeugung, dass Antisemitismus auf einer Documenta nichts verloren hat. Ob die fraglichen Zeichnungen als antisemitisch zu betrachten sind oder nicht, dazu äußere ich mich als Geschäftsführer der Documenta Gesellschaft nicht. Das müssen Personen entscheiden, die von der Sache etwas verstehen.

Wer waren die Experten, die die Bilder von Seiten der Documenta überprüft haben?
Die Bilder wurden seinerzeit aufgrund eigener Recherche und ohne Hinzuziehung externer Expertise begutachtet.

Dann hat Ruangrupa entschieden, wie die Zeichnungen zu deuten sind und dass sie in der Ausstellung verbleiben sollen?
Die künstlerische Leitung entscheidet allein darüber, was in der Ausstellung passiert. Sie werden die besagten Objekte nun mit Kontextualisierungen versehen. Diese werden im Moment erarbeitet. Ich gehe davon aus, dass das innerhalb von Stunden, maximal Tagen vorliegen wird.

Was kommt da noch? Gibt es eine Liste mit Werken, die wegen möglicher antisemitischer Inhalte überprüft werden?
Nein, aber es gibt eine Handvoll von Objekten, die in diesem Zusammenhang in der öffentlichen Diskussion stehen. Ich denke, dass es richtig wäre, darüber nachzudenken, ob und wenn wie in diesen Fällen eine Kontextualisierung angezeigt ist.

Politiker verschiedener Parteien fordern alle Werke der Documenta auf Antisemitismus zu begutachten. Was sagen Sie dazu?
Ich verstehe, wenn die künstlerische Leitung das zurückweist, wenn sie es ablehnen, alle Werke unter Generalverdacht zu stellen.

Was haben Sie sich als Geschäftsführer der Documenta vorgenommen?
Mir geht es darum, ein Maximum an Gesprächsfäden zu spinnen oder sie wiederherzustellen. Ich möchte Kommunikation zwischen der künstlerischen Leitung und dem Publikum, aber auch zwischen künstlerischer Leitung und den Medien herstellen. Das ist in eine Schieflage geraten, das Gesicht der Documenta war nicht mehr die künstlerische Leitung.

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Wie Sie wissen, war ich bereits vor 30 Jahren als Geschäftsführer der Documenta tätig. Wenn man damals von der Leitung der Documenta sprach, meinte man die Kuratoren Jan Hoet oder Catherine David. Nicht im Traum dachte man an einen Manager im Büro. Aber es ist nachvollziehbar, wie diese Schieflage entstanden ist. Es ist einfacher, eine einzelne Figur in den Fokus zu nehmen als eine Gruppe.

Sie sind erreichbar, die Pressestelle ist wieder erreichbar. Das hat sich bereits geändert. Können Sie in dieser Hinsicht auch auf Ruangrupa einwirken?
Die Diskussion über das Kommunikationsverhalten der Kuratoren ist nichts Neues in der Geschichte der Documenta. Jan Hoet bei der Documenta 9 war ein kommunikationswütiger Charismatiker. Er wollte jeden Tag kommunizieren. Seine Nachfolgerin Catherine David war das genaue Gegenteil. Sie galt als spröde, sprach in der Wahrnehmung des Publikums unverständlich, noch dazu Französisch, was ihr massiv zum Vorwurf gemacht wurde.

Dabei gilt die Documenta von Catherine David als Meilenstein in der Geschichte der Ausstellung. Jetzt haben wir es mit einem Team zu tun, das auf der einen Seite sehr präsent in der Ausstellung ist, sie sind inmitten der Leute, aber Pressemitteilungen und Interviews sind nicht unbedingt ihr Metier. Die Sprache jeder künstlerischen Leitung ist die Ausstellung.

Und in diesem Fall auch antisemitische Bilder, die viele nicht mit öffentlichem Geld unterstützt sehen wollen. FDP-Politiker und der Zentralrat der Juden fordern die Ausstellung zu pausieren. Was sagen Sie dazu? Sie können ja nicht einfach sagen, wir machen weiter.
Wir sind Gegenstand der politischen Debatte, sind aber nicht an ihr beteiligt. Die sich hier äußern müssten erkennen, dass das kein plausibler Umgang mit einem Ausstellungsprojekt ist. Wenn man durch die Ausstellung geht, käme man nicht auf den Gedanken, sie müsse abgebrochen werden. Auf dem Ausstellungsgelände herrscht eine andere Realität als in Politik und Medien.

Reden Sie mit dem Zentralrat der Juden, mit der Jüdischen Gemeinde, mit den Gruppen, die zu recht verärgert sind über das, was hier gezeigt wird?
Ich versuche, mit so vielen Gruppen wie möglich zu sprechen. Einige der Genannten stehen im Kalender, einzelne Namen will ich nicht nennen. Meine Aufgabe ist es, die Kommunikationsfäden wieder zu verknüpfen. Es lässt sich schlecht darüber reden, das muss man einfach machen.