Der bescheidene Holländer
Normalerweise treffen sich hier die Angestellten der Stadtverwaltung von Fulda zu Konferenzen. Doch die schlichten Büromöbel wurden ausgeräumt und stattdessen ein großes, flaches Podest errichtet, auf dem eine Schneiderpuppe mit einem Gewand von Wilhelmine von Preußen vor einem riesigen vergrößerten Brief steht. „Fulda hat meine Erwartungen übertroffen. Die Straßen sind genau wie in England und die Stadt ist eine der schönsten, die ich in Deutschland kenne. Sie ist klein, aber äußerst angenehm und das Schloss ist sehr solide und stark gebaut“, schreibt die Mutter von Willem Frederik, dem späteren König Willem I. der Niederlande, 1803 an ihre Tochter Luise, in bestem Französisch.
Nach der Säkularisierung des Fürstbistums Fulda fiel es als Entschädigung für verlorene Besitzungen an Prinz Willem Frederik von Oranien, der von 1802 bis 1806 das kleine Fürstentum regierte und reformierte. Im Gedenken an ihren ersten säkularen Fürsten und den späteren ersten König der Niederlande feiert die Stadt Fulda den 250. Geburtstag des Fürsten jetzt mit der prächtigen und ungewöhnlichen Ausstellung „Design & Dynastie. 250 Jahre Hofleben Oranien-Nassau“. Für diese Sommerausstellung hat Fulda die Designexpertin Nicole Uniquole engagiert, die schon 2012 Schloss Oranienbaum mit einer ähnlichen Ausstellung „Dutch Design“ verzaubert hatte. [Bis 28. August 2022, Stadtschloss Fulda.]
Uniquole und ihr Stylist Maarten Spruyt haben das Schloss selbst als Exponat gewählt und die Ausstellung nach der ehemaligen Funktion der Räume zu Zeiten Willems gestaltet. Uniquole kombiniert in erster Linie in allen Räumen des barocken Stadtschlosses von Johan Dientzenhofer Spitzenobjekte aus den Königlichen Sammlungen in Den Haag mit modernem niederländischem Design.
In dem heutigen Konferenzraum hat damals Wilhelmine gewohnt, wenn sie in Fulda war, und dort hat sie auch den erwähnten Brief geschrieben. Die Podeste und Sockel der Vitrinen nehmen stets Muster aus dem jeweiligen Raum auf, dadurch wirken die Installationen organisch. Und so mancher Angestellter der Stadt entdeckt seinen Arbeitsplatz neu, denn selten schaut man bei der Arbeit auf die prächtigen Deckengemälde.
Ein weiterer Ex-Büroraum ist den vielen deutsch-niederländischen Ehen der Oranier gewidmet, von Willem I. bis Beatrix waren immer deutsche Partner dabei. Passend dazu hat Uiniquole die „Minimal Kiss Lamp“ (2017) von Joep van Lieshout ausgewählt, eine kubistische Plastik eines Paares aus Cortenstahl mit einer schützenden Rostschicht.
Blickfang am Ende der Zimmerflucht ist die auf Stoff gedruckte 1:1-Reproduktion des riesigen Gemäldes von Innocent Louis Goubaud, das Willem I. im Kreise seiner Familie und von Höflingen bei seiner Inthronisierung zeigt. Die Krone vor ihm war aus Kupfer und hatte nur symbolische Bedeutung.
Die Geschichte des Fürsten wird in den 23 Räumen nicht klassisch mit Dokumenten und historischen Darstellungen erzählt, sondern überwiegend auf Texttafeln, die die Königshausexpertin und Historikerin Reinildis van Ditzhuyzen zu jedem Raum verfasst hat, ebenso wie den Audioguide, der über das Smartphone zu hören ist.
In den historischen Räumen, die musealen Standards entsprechen, sind dann auch die überaus großzügig gewährten Leihgaben der Königlichen Sammlungen aus dem Königlichen Hausarchiv in Den Haag zu sehen, die das Hofleben der Oranier illustrieren.
Und obwohl Willem Frederik als Fürst von Fulda wenig auf Pomp und Glanz gab, passt die aus 252 Stücken bestehende Silbersammlung „Englisches Tableau“, ein Tischdekor mit Schalen, Vasen und Bonbonnieren, wunderbar in den festlichen Raum mit roten Stofftapeten und Kronleuchtern. Diese Garnitur aus der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde bei besonderen königlichen Anlässen in den Niederlanden genutzt.
Dass es neben Meißener Porzellan auch Fuldaer Porzellan gab, dürfte nicht jedem bekannt sein. Die Designerin Simone Doesburg von Grace of Glace hat extra für diese Ausstellung neue Glasuren entwickelt, die auf runden Tellern und Schalen wunderbar mit den historischen Porzellanfiguren aus Fulda im Prunkkabinett harmonieren.
Die Fuldaer hatten wohl Sorge, dass der neue protestantische Fürst nicht so prunkvoll auftreten würde wie die Fürstbischöfe. In der Tat war Willem bescheidener und sparsamer, doch er brachte frischen Wind mit nach Fulda, modernisierte die Verwaltung und die Wirtschaft, förderte die Bildung. Der Fürst brachte auch französische Möbel mit ins Schloss wie zum Beispiel ein Kanapee, das man bis dahin hier nicht kannte.
Daran knüpft die Präsentation von Sebastian Brajkovics scheinbar zerfließender Chaiselongue „Lathe V Chair“, deren verwischtes Muster an einen umgerührten Café Latte erinnert. Ein Blickfang ist das Spiegelkabinett mit 420 Spiegeln, der einzige Raum mit nur einer Tür. Hierhin zog sich Willem Frederik gerne zurück, wenn er allein sein wollte.
Heute schmückt den Raum eine Schneiderpuppe mit einem üppigen Kleid von Jan Taminiau, der für Königin Máxima mehrere spektakuläre Kleider entworfen hat. Auch Máximas berühmtes Foto von Erwin Olaf, das auch das Plakat ziert, darf hier nicht fehlen, ebenso ein Jugendfoto, das Vincent Mentzel von Prinz Willem- Alexander in seinem Jugendzimmer auf Huis ten Bosch beim Lesen aufgenommen hatte. In diesem intimen Raum steht auch die königliche Wiege von K.P. Bazel, einem Architekten der Amsterdamer Schule, die die Bürger Amsterdams 1909 zur Geburt von Prinzessin Juliana dem Königshaus schenkten. Auch die Töchter von Willem-Alexander und Máxima lagen in dieser „Amsterdamer Wiege“.
Ein besonderer Raum ist den über 60 Miniaturmalereien aus der weltweit einmaligen umfangreichen Sammlung der Oranier gewidmet, die erstmals in Deutschland gezeigt werden. Man verschenkte Miniaturporträts zur Hochzeit oder trug sie bei sich, man sammelte Porträts von Königshäusern, die einem nahestanden und nutzte die kleinen Kostbarkeiten als diplomatisches Geschenk. Wilhelmine von Preußen hat ihre Kinder selbst porträtiert.
Den prächtigen Bankettsaal im zweiten Stock des Schlosses schmückt ein umgekehrter riesiger Tisch. Er wird durch eine aufgelegte Glasplatte zur Ausstellungsvitrine, in der man in das aktuelle Tafelservice des Königspaares in Delfter Blau sieht, bei dem die Königin eigenhändig letzte Korrekturen vorgenommen hat.
Ein grüner Saal mit Kunstblumen von Hella Jongerius erinnert an das Weingut Johannisberg im Rheingau, das Willem Frederiks hauptsächliche Einnahmequelle war und das heute noch besteht. Entlassen in den Schlossgarten werden die Besucher durch einen inszenierten Maskenball mit historischen Kostümen von Studenten des Meisterkurses für Schneiderei in Amsterdam. Maskenbälle waren für Willem Frederik ein Mittel, anonym verschiedene Bevölkerungsgruppen einzubeziehen. Dazu lud er freie Theatergruppen in die Orangerie ein.
Das, was Willem in seinen vier Jahren als Fürst von Fulda gelernt hatte, nutzte er später bei der Modernisierung der Niederlande als König. Und Fulda nutzt mit dieser Sommerausstellung geschickt die Beziehungen zum niederländischen Königshaus, um dem Image der bisher stark katholisch geprägten Stadt eine neue Facette hinzuzufügen.