Lebenslänglich dagegen
Kunstfurzer gesucht. So fängt das an. Mit einer Anzeige, 1990, für das Quartier Latin, dem heutigen Wintergarten Varieté. Arnulf Rating, Günter Thews und Holger Klotzbach, seit 1977 unterwegs als Anarcho-Kabarett-Truppe 3 Tornados, die Lieblingshofnarren der Alternativkultur, heben eine Show aus der Taufe: den Blauen Montag.
Eine lebende Stadtrevue soll er sein, ein frisches neues Varieté, das von Kabarett bis Artistik alles zeigt, was die bürgerliche Hochkultur verachtet. „Wir suchen Kunstfurzer oder Leute, die andere 5 Minuten zum Lachen bringen.“
Rote Schuhe, schriller Haarkranz – fertig ist der Politclown
Dreißig Jahre später ist der Blaue Montag immer noch da. Sogar mit Ableger, dem „Blauen Mittwoch“ im Kleistforum Frankfurt/Oder. Jetzt läuft er bei den Wühlmäusen, wo sich Montagabend nach einem Jahr Corona-Pause erstmals wieder ein Trupp bunter Spaßvögel auf der Bühne versammelt hat. Kunstfurzer ist keiner dabei, aber eine Bauchrednerin, die trällert wie eine Operndiva. Den Zirkusdirektor macht wie immer Arnulf Rating, der die Show mit seinem Maulhelden-Büro veranstaltet und moderiert.
Dass der Kabarettist an diesem Sonntag 70 Jahre alt wird, sieht man ihm in seiner Bühnenmontur nicht an. Nadelstreif-Dreiteiler, rote Schuhe, schriller Haarkranz – fertig ist der Politclown, der getrost als einer der dienstältesten des Landes bezeichnet werden darf. Zu hören sind seine Begrüßungsworte trotzdem nicht. Mikrowackler! Die schnell behobene Panne münzt Arnulf Rating sofort in Spitzen gegen das Berliner Wahldebakel um.
Auch den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erwähnt er. „Ich hab’ dafür gestimmt, ich hab’ ja keine 3000 Wohnungen.“ Sein Klassiker, das Kommentieren der politischen Landschaft mittels bekloppter Zeitungsschlagzeilen, den er auch im aktuellen Soloprogramm „Zirkus Berlin“ pflegt, kommt beim Blauen Montag ebenfalls zum Einsatz, bevor er mit nicht nachlassendem Enthusiasmus Akrobaten, Sängerinnen, Humoristen ansagt.
Zwei Tage später. S-Bahnhof Waidmannslust. Ein Hausbesuch beim Jubilar. In den Neunzigern sind die Ratings der Kinder wegen von Kreuzberg nach Lübars gezogen. In einer Baumarkteinfahrt wartet Abholer Rating mit einem alten Benz. Den führe sonst seine Frau, sagt er, er nimmt zu seinen Auftritten die Bahn. Rating wurde 1951 in Mülheim an der Ruhr geboren.
1972 zieht es den durch die 68er-Bewegung politisierten Studenten nach West-Berlin. Doch wozu an der Uni versauern, wenn Gesellschaftsveränderung ansteht? Und zwar mit theatralischen Mitteln. Spaß-Guerilla juhu. Die Verbissenheit der Deutschen wie der Linken habe ihn immer genervt, sagt Rating. „Veränderung muss Spaß machen“.
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Die 3 Tornados spielen für Häuserbesetzer, Friedensbewegte, Atomkraftgegner. Rating und die Anderen unterstützen aktiv die Gründung der „taz“, der Ufa-Fabrik und des Tempodroms als „Manege für alle“. „Der Name stammt übrigens von mir.“ Auch für das neue Tempodrom hat er gekämpft, so wie er sich bis heute für einen Dauermietvertrag für die Ufa-Fabrik einsetzt.
„Orte sind wichtig für die Kultur, deswegen muss man sich für sie einsetzen.“ Und den Künstlern Auftrittsmöglichkeiten schaffen, wie er es früher mit dem „Reichspolterabend“ und dem „Maulhelden-Festival“ machte, heute mit dem „Politischen Aschermittwoch“ im Tempodrom und eben dem varietéhaften Blauen Montag. Diese Unterhaltungsform soll nach seinem Willen sichtbar bleiben.
Nach einer kleinen Rundfahrt durch den alten Ortskern, die an Dorfkrug und Kirche vorbeiführt, warten bei Ratings Kaffee und Kuchen. Ein sattgrüner Garten, Bilder, Bücher, Skulpturen, ein weißes Klavier. Auch bei Politanarchos geht es gutbürgerlich zu. Durch den „Labsaal“ im Dorfkrug habe er einst Lübars entdeckt, erzählt Rating. Auf der damals von der Kultur- und Umweltbürgerinitiative „Grüne Hand“ betriebenen Bühne hat er schon als Sponti gespielt.
Und macht es heute immer noch. Bürger, die sich selbst emanzipieren und organisieren, sind Rating sympathischer als Parteien, „die nur zur politischen Unwillensbildung beitragen“. Deswegen begrüßt er Volksentscheide wie den jüngsten. „Das ist keine Enteignung, die werden ja entschädigt.“ Demokratie finde er ebenso super wie Meinungsverschiedenheiten, sagt er. „Ich bin mein Leben lang in der Opposition.“ Das gilt auch für’s Künstlertum. „Kabarett ist dazu da, andere Positionen zu beziehen, als Fitnessübung für’s Gehirn.“
Auch der politische Umgang der Regierung mit der Corona-Pandemie bekommt in „Zirkus Berlin“ sein Fett weg. Lebensmittelläden blieben auf, während die Kultur im Lockdown verschwand. Laut Rating ein unhaltbarer Zustand. „Ist Kultur etwas kein Lebensmittel?“, fragt er. Deswegen hat er sich in der Coronazeit an Künstlersoli-Aktionen beteiligt, obwohl ihm Demos eigentlich missfallen. „Sobald Menschen in eine Richtung marschieren, wird es schwierig.“
Rating selber ist übrigens nicht geimpft. Trotz seines Alters und seiner Auftrittsreisen durch ganz Deutschland. Da ist sie schon, die Meinungsverschiedenheit. Er halte die Hygieneregeln ein, teste sich vor jeder Show, sein Immunsystem funktioniere, da sei eine Impfung nicht nötig, sagt er und schmettert Einwände ab.
Die seit den Siebzigern eingeübte Renitenz des Alt-Anarchos lässt grüßen. Frei nach dem Motto: Wenn der Staat mich zu Handlungen nötigt, werde ich bockig. Und wenn er mir sagt, was zu tun ist, mache ich es sicher nicht. Er finde es höchst bedenklich, Grundrechte an Wohlverhalten zu binden, bemerkt Rating und zitiert einen Satz aus seinem Programm: „Der Kapitalismus ist das eigentliche Virus.“
[Berliner Auftritte von Arnulf Rating: Solo mit „Zirkus Berlin“ in der Ufa-Fabrik, 22.11., und den Wühlmäusen 4.12., nächster Blauer Montag ebendort am 6.12.]
Die Leute zum Lachen zu bringen, könne auch ein gutes Herrschaftsinstrument sein. „Kabarett als Beruhigungspille, hat schon in der DDR funktioniert.“ Auch in Gestalt der vom Privatfernsehen in den Neunziger befeuerten, grundharmlosen Comedy-Welle. Damit hat Rating nichts am Hut. Er begreift das Kabarett als Kontrollinstanz der Mächtigen. Wobei sich der Anspruch der seligen Tornados, die Leute „oben mit erweitertem Bewusstsein und unten mit nassen Hosen“ aus dem Theater zu entlassen, im Satiriker-Genre nicht durchgesetzt hat.
„Es ist wirklich überraschend für mich, dass ich schon so alt bin“, ulkt Rating als letzter Tornado, der noch auf der Bühne steht, während über Lübars die Sonne versinkt und der Kabarettist – wie auf der Bühne – von einem Gedanken zum nächsten rattert. Ans Aufhören verschwendet er aber keinen. „Wenn ich zuhause hocke, nehme ich nur zu.“
Auch der miserable Zustand der Welt ist für ihn keineswegs ein Grund, nicht mehr in die Manege zu ziehen. Auf Kassandra-Rufe vom Weltuntergang hört Arnulf Rating schon seit seiner Jugend im Kalten Krieg nicht mehr. „Auch in der Dystopie findet man immer eine Ecke, wo man leben kann.“