Kélian Nsona vor seinem Hertha-Debüt: Das Phantom materialisiert sich
Pal Dardai war mittendrin. Der Trainer von Hertha BSC trieb sich im zentralen Mittelfeld herum, hatte zwei Spieler an der Hand gepackt und schleppte sie an die Stelle, an der er sie während der Übung im Training hätte sehen wollen. Es war der Moment, in dem Kélian Nsona wieder einmal komplett außen vor war.
Das Training des Berliner Fußball-Zweitligisten Hertha BSC lief noch, da trottete der Franzose am Mittwochvormittag bereits alleine vom Feld. Nsona kennt das. Im Januar 2022 ist er vom französischen Zweitligisten AS Caen für eine Ablöse von rund 500.000 Euro nach Berlin gewechselt ist. Seitdem aber – und eigentlich schon davor – ist er derart von Verletzungen geplagt worden, dass er bis heute keine einzige Minute für Herthas Profis gespielt hat.
578
Tage waren bei Nsonas Debüt seit der Vertragsunterzeichnung vergangen.
Am Mittwoch immerhin bestand kein Grund zur Sorge. Nsona sollte lediglich ein wenig kürzertreten, nachdem das Training am Tag zuvor recht fordernd gewesen war. Also trainierte er im zweiten Teil der Einheit mit Reha-Trainer Hendrik Vieth auf einem Nebenplatz und durfte früher Schluss machen als die Kollegen.
Letzter Einsatz vor über zwei Jahren
Nsonas Leidenszeit – so scheint es zumindest – gelangt nun wohl tatsächlich an ihr Ende. Am vergangenen Freitag, exakt 578 Tage nach seiner Verpflichtung, hat der 21-Jährige sein Debüt für Hertha gefeiert. Im Auswärtsspiel der U 23 beim FC Eilenburg wurde Nsona nach gut einer Stunde eingewechselt. Dass die Partie für die Berliner mit einer 2:3-Niederlage zu Ende ging, dürfte ihn angesichts seiner Vorgeschichte allenfalls peripher berührt haben.
Vor mehr als zwei Jahren, am 10. Juli 2021, hat Kélian Nsona zuletzt ein offizielles Fußballspiel bestritten. In einem Test während der Saisonvorbereitung gegen Ajaccio zog sich der Außenbahnspieler einen Kreuzbandriss zu. Trotzdem hat Hertha ihn noch während der Reha im Januar 2022 unter Vertrag genommen. „Den wollten viele Klubs aus Europa haben, auch aus der Bundesliga“, hat Fredi Bobic, Herthas damaliger Sportchef, gesagt.
In den Sozialen Medien werden jetzt wieder vereinzelt Highlightvideos aus seiner Zeit in Frankreich gepostet, die zeigen, was Nsona damals so begehrenswert gemacht hat. Er ist schnell, trickreich, hat Zug zum Tor. Aber man sollte solche Videos auch nicht überbewerten. Anderthalb gute Minuten sind schnell zusammengeschnitten.
Er soll eine Halbzeit vor meiner Nase spielen.
Hertha-Trainer Pal Dardai über den „Phantom-Spieler“
Dass Nsona lange raus war, „das sieht man“, sagt Trainer Dardai. Die Bewegungen wirken zum Teil noch etwas unrund. Aber das ist angesichts der Umstände nicht ungewöhnlich.
„Eine Halbzeit vor meiner Nase spielen“
Denn kaum war Nsona nach seinem Kreuzbandriss zurück im Mannschaftstraining, hat es ihn im Sommer 2022 gleich wieder erwischt. In einer der ersten Trainingseinheiten der Saisonvorbereitung bekam er einen Schlag aufs Knie. Im Herbst, als sich keine Besserung einstellte, wurde er deshalb erneut operiert. Und erneut musste er monatelang pausieren. Kélian Nsona wurde zu einer Art Phantom im Kader von Hertha BSC: irgendwie da und doch unsichtbar.
Derzeit aber scheint er sich tatsächlich wieder zu materialisieren. Wenn Hertha an diesem Freitag (18.30 Uhr, Ernst-Reuter-Sportfeld) ein Testspiel beim Oberligisten Hertha 03 absolviert, wird Kélian Nsona zum ersten Mal für die Profis auflaufen. „Er soll eine Halbzeit vor meiner Nase spielen“, sagt Dardai.
Zu Beginn der Vorbereitung hatte Herthas Trainer in Bezug auf Nsonas weitere Verwendung als Profifußballer noch kritisch geklungen. Auch, weil der Franzose anfangs wieder nur individuell trainierte. Aber wer so lange raus war und sich zudem zweimal am selben Knie verletzt hat, der muss erst wieder Vertrauen in seinen Körper schöpfen.
„Vielleicht einen Hoffnungsträger“
Am Freitag in Eilenburg hat Kélian Nsona einen ersten Schreckmoment erlebt – und überstanden. Kurz vor Schluss war er von seinem Gegenspieler mit beiden Beinen abgeräumt worden. Viele fürchteten schon das Schlimmste. Doch Nsona stand wieder auf und konnte weiterspielen.
„Er ist gesund“, sagt Dardai über den Franzosen, der erst einmal weitere Einsätze in der U 23 bekommen soll, damit er sich an die Spielbelastung gewöhnt. Zuletzt im Spielersatztraining der Profis hat das einstige Phantom seinen Trainer jedenfalls schon positiv überraschen können – indem er im Eins-gegen-eins einige Bälle eroberte.
Nsona habe Zug nach vorne, sei schnell, „wenn er defensiv mitmacht, dann hat er eine Riesenchance“, sagt Dardai. „Wer weiß, was noch aus ihm wird, wenn er gesund bleibt. Wenn er das, was man im Training sieht, auch auf Top-Niveau zeigen kann, dann haben wir vielleicht einen Hoffnungsträger.“