Lass uns doch von Sex reden
Sophie Rois hat mal in einem Interview von der Ehe ihrer Eltern erzählt. Dass die zusammen einen Laden geschmissen und drei Kinder großgezogen haben, was ihrer Beziehung eine andere Prämisse gab, als die meisten Menschen sie sich dieser Tage vorstellen könnten. „Bei ihnen war die Ehe auch ein ökonomisches Projekt, heute heißt das Projekt: immerwährende gegenseitige Begeisterung“.
Der Regisseur René Pollesch hat diese Sophie-Rois-Sätze vor Jahren in einer Laudatio auf die österreichische Schauspielerin zitiert. Eine großartige Lobrede war das, in der Pollesch unter anderem erklärt hat, warum er Rois nicht mit Anbetung belästigen will, weshalb er sich nicht in einem Hotdogladen vor ihr auf die Knie werfen würde, warum ihr Körper auf der Bühne Sinn genug ergibt und nicht erst mit „Lesbarkeit“ aufgeladen werden muss – und dass er ihr gerne eine vom Aussterben bedrohte Tierart zum Um-den-Hals- Hängen kaufen würde, einen Zobel genauer gesagt.
Also, die Beziehung zwischen dem Volksbühnen-Intendanten und der Noch-DT-Schauspielerin scheint eine von tiefer Vertrautheit geprägte zu sein. Schwer zu sagen, ob sie auch auf immerwährender gegenseitiger Begeisterung beruht.
[Nächste Vorstellungen: Do, 7.7., 20 Uhr, Sa, 9.7., 19.30 Uhr, So, 10.7., 19 Uhr, weitere im September]
Jedenfalls arbeiten die beiden gerne miteinander, und fast immer entstehen dabei mindestens unterhaltsame Abende, was ja nicht wenig ist. Am Deutschen Theater hatte jetzt „Liebe, einfach außerirdisch“ Premiere – eine für Pollesch-Verhältnisse wenig theorie- und diskursgeladene Gute-Laune-Show. Es geht zum Beispiel nicht um irgendein Buch, in dem Donna J. Haraway darüber phantasiert, dass „Homo“ von „Humus“ stammt und wir alle Kompost sind, beziehungsweise sich in Zukunft unser Erbgut mit der DNA bedrohter Tierarten wie dem Monarchfalter mischen sollte (oder was sonst so auf den Dramaturg:innen-Schreibtischen der Republik rumliegt). Nein, Sophie Rois und Kotbong Yang spielen Aliens („Sondergesandte des Großkopfjägers“), die es auf die Erde verschlägt, wo sie menschliche Gestalt annehmen.
Die Mission: Sie sollen den Wissenschaftler Dr. Albright (Trystan Pütter) ausfindig machen, der irgendeinen verhängnisvollen Radarstrahl in die Nachbargalaxie gefeuert hat, was dringend rückgängig gemacht werden muss. Science–Fiction eben, es sind keine profunden Kenntnisse in Radar-Astronomie gefragt. Das eigentliche Rätsel, vor dem Rois und Yang als extraterrestrische Besucher:innen stehen, ist das menschliche Paarungsverhalten: „Die machen es hier dauernd. Also nicht wie die, die sie Tiere nennen. Die Sexualität ist offenbar die Grundlage ihrer Zivilisation. Das ist ihr Bruch mit der Natur“. Seltsam auch für außerirdische Ohren: die Chiffre des „noch auf einen Kaffee Mitkommens“ für Sex. Ein running gag, der sich durch den ganzen Abend zieht. Für Rois und Yang besteht jedenfalls kein Zweifel: die Menschen brauchen „einen phantasmatischen Schirm, der das Traumatische aus dem Sexualakt filtert“.
Warum konzentriert sich Pollesch nicht auf die Volksbühne
Im Vorfeld dieser Premiere ist ja nicht unberechtigterweise die Frage aufgekommen, wieso Pollesch eigentlich Gastregie am DT führt, statt sich ganz auf seine mittelprächtig gestartete Volksbühne zu konzentrieren – geschenkt, dass es sich bei „Liebe, einfach außerirdisch“ um eine lang zurückliegende, Pandemie-bedingt geschobene Verabredung handelt. Aber gut, nun gibt es diesen Abend an der Schumannstraße, an dem sich alle Beteiligten schon fast demonstrativ unbeschwert zeigen. Auf der Bühne von Barbara Steiner kreist ein hölzerner Turm mit „vulgär phallischer Konnotation“, „Westwood“- Schriftzug und Glühbirnen-Blitzen, die Nebelmaschine wird ebenso oft angeworfen wie der „Louie Louie“-Soundtrack, und dazwischen wird boulevardesker Genderdiskurs verhandelt. Zum Beispiel schlägt Sophie Rois im „Erdenführer“ das Wort Frau nach und findet nichts: „Eine Frau existiert nicht. Ich existiere nicht. Oh, das macht mir gleich gute Laune“.
Die überträgt sich durchaus an diesem Abend, vor allem, wenn es slapstickmäßig heiß zur Sache geht (Pollesch und Rois teilen ein Faible für die „Nackte Kanone“-Reihe). Sowohl die Strahlefrau des Ensembles (ab der kommenden Spielzeit an der Volksbühne), als auch Kotbong Yang und Trystan Pütter beherrschen das glänzend. Vom exaltierten Zeitlupen-Move bis zur – ja, wirklich – Sahneschnitte im Gesicht. Ziemlich gut ist auch ein Filmeinspieler, in dem es zwischen Rois und Pütter zur Sache geht. Wobei Letzter einen Vorschlaghammer-Strip im Bauarbeiter-Dress hinlegt, und Erstere unversehens einen Autoreifen um den Hals geworfen bekommt. Wo ist der phantasmatische Schirm, wenn man ihn braucht?
Die Inszenierung vermixt Science- Fiction-Zitate von „Mork vom Ork“ bis „Zurück in die Zukunft“ zu einer 90-Minuten-Sause, die vielleicht nicht die Höhen einer Pollesch-Hinrichs-Kooperation wie „Glauben an die Möglich der völligen Erneuerung der Welt“ erreicht, die womöglich eher ein ökonomisches Projekt ist, als eines, das von immerwährender Theaterbegeisterung getragen wird. Aber Spaß macht „Liebe, einfach außerirdisch“ allemal.