Filmfest Prenzlauerberginale: Wohnen, schuften, lachen jenseits des Mythos
Die Prenzlauer Berginale ist ein Filmfestival, dem es ernst ist, auch wenn der Name lustig klingt. Und zwar ernst, mit einer filmischen Erkundung des Berliner Stadtbezirks, der nach der Entdeckung durch die Kulturszene der DDR, den Hype der Nachwendejahre und die Karikatur neobürgerlicher Lebenswelten heute als Schimpfwort fungiert – nützlich für eine Politik, die sich als das vermeintlich echte Leben gegen die Blasenhaftigkeit der fernen Hauptstadt entwerfen will.
Dabei kann man dem echten Leben im Programm der aktuellen, nunmehr siebten Ausgabe der Prenzlauerberginale laufend begegnen. Vor allem in den halbstündigen Programmen, die Festivalleiter Stephan Müller gemeinsam mit Thorsten Fleisch aus dem Material der Staatlichen Filmdokumentation der DDR (SFD) zusammengestellt hat.
Auf dem Weg zum Paradies
Die SFD muss man sich als eine Art dokumentarische Bad Bank der DDR vorstellen. Von 1971 bis 1986 entstanden gut 300 Arbeiten, die mitunter kritischer und offener sein konnten, als es Defa-Filmen zugestanden wurde. Denn die SFD-Filme waren nicht zur Vorführung gedacht, sondern wurden als Wette auf eine strahlende Zukunft gedreht.
Es sollten die Probleme beim Aufbau des Sozialismus festgehalten werden, damit man sich, wenn eines Tages das als paradiesisch imaginierte Ende der Geschichte erreicht sein würde, der Mühen aus der Anfangszeit erinnern konnte. Ein wenig bekannt ist die Arbeit der SFD durch Thomas Heise (Material, Heimat ist ein Raum aus Zeit), einen der wichtigsten deutschen Dokumentarfilmemacher. Heise hatte, nachdem er die Filmhochschule verlassen musste, in den 1980er Jahren zwei Arbeiten für die SFD realisiert.
Sechs bis acht Jahre Wartezeit
Da ging es auch schon um Wohnungsprobleme, die jetzt im Mittelpunkt des SFD-Programms stehen, das am 26. September gezeigt wird. Frau Kolonko sitzt beim Stadtrat Dr. Reimann, weil sie nicht länger bei ihren Eltern wohnen will. Dr. Reimann verspricht zwar, eine „Lösung herbeiführen“ zu wollen, kann sich aber wegen des fehlenden Angebots nur durch die Phrasen seines Bürokratismus arbeiten. So hat der „namentliche Vergabeplan“ von 1983 schon mit „Überhängen“ von 1982 zu kämpfen, was Frau Kolonko unzufrieden zurücklässt.
Wo die Wohnungsfrage heute eine des Geldes ist, bedingt damals der schiere Mangel absurde Lösungen: Ein junges Paar mit Baby teilt sich eine Zwei-Raum-Wohnung mit einem anderen Paar mit Kind, also Küche, Bad und Flur. Wie sehr die Knappheit an den Nerven zerrt, zeigt das Beispiel eines geschiedenen Paares, bei dem der Mann eigentlich ausziehen sollte, aber nicht kann und stattdessen auf notdürftig abgetrennten zehn Quadratmetern eine Art Privatleben zu realisieren versucht. Auf die höfliche Frage, welche Wartezeit er als angemessen empfände, wünscht er sich bescheiden zwei Jahre; in der Realität musste sechs bis acht Jahre auf eine Wohnung gewartet werden.
Deshalb nehmen manche Leute ihr Schicksal selbst in die Hand und richten sich kaputte, aber leerstehende Wohnungen selbst her, wie Frau Franke und Frau Nowotka. Die Polizei ziert sich zwar, aber geräumt wird nicht; das ärgste Problem der beiden jungen Mütter sitzt ein paar Etagen weiter oben und führt das Hausbuch – ein älterer Herr, dem das illegale Bewohnen aus Prinzip nicht passt. Das Gespräch zwischen den beiden Frauen und dem grimmigen Mann, das der Film organisiert, ist ein kostbares – es zeigt ein selbst verantwortetes Reden hinter den Kulissen der dysfunktionalen Planwirtschaft.
Die anderen SFD-Programme bei der Prenzlauerberginale, die jeweils als Vorfilme laufen, widmen sich den Alten in der DDR, dem ÖPNV und Berufen wie Schornsteinfeger oder Marktfrau. Ein besonderes Highlight ist Jörg Foths seit 30 Jahren nicht gezeigte dokumentarische Langzeitbeobachtung über den Übergang in den Westen Anfang der 1990er Jahre – für den Prenzlauer Berg Walzer (1994) sind wegen des großen Andrangs bereits zwei Zusatzvorstellungen eingeplant.