Der Frauen-Radsport wächst: Der Gender Gap ist riesig – wird aber kleiner
Ronny Lauke ist seit 2008 im Frauenradsport aktiv. Erst als Sportlicher Leiter, seit 2016 auch als Rennstallchef. Mit der Polin Katarzyna Niewiadoma, die im letzten Jahr Dritte bei der Tour de France Femmes wurde, peilt er erneut einen Podiumsplatz an. Und mit Ricarda Bauernfeind und Antonia Niedermaier hat er die wohl größten deutschen Klettertalente in seinem Rennstall Canyon SRAM. Lauke ist der ideale Gewährsmann, wenn es darum geht, den Wachstum des Frauenradsports in den letzten 15 Jahren zu beurteilen.
Das Wachstum macht sich schon am Ende jeder Etappe dieser Tour de France Femmes bemerkbar. „Wenn man jetzt auf die Straße hier schaut“, sagte Ronny Lauke vor wenigen Tagen nach der zweiten Etappe, als sechs Teams ihre Busse und Mannschaftswagen aufgestellt hatten, „dann hätte dieser Bereich schon ausgereicht, um alle Teamautos unterzubringen“, fährt er fort.
Jetzt setzt sich das Fahrerinnenlager auch auf der Straße im Rücken von Lauke fort, nimmt nach einer Straßenkreuzung weiteren Raum ein und füllt auch noch einen großen Parkplatz vor einer Schule. „Auch die Menge der Menschen, die da lang gelaufen wäre, wäre im besten Fall die Hälfte gewesen“, erzählt Lauke Tagesspiegel. Denn auch das Personal hat zugenommen. Nicht so sehr an Fahrerinnen, 2008 fuhren 13 Frauen für Team Columbia Woman, für das Lauke damals tätig war. Unter anderem die dreifache Weltmeisterin Judith Arndt und Ina-Yoko Teutenberg, die jetzt als Sportliche Leiterin beim Rennstall Lidl Trek bei der Tour dabei ist.
Mehr Personal und Ausstattung drumherum
Massiv gewachsen ist im Laufe der Jahre aber der Betreuungsaufwand. Große Busse stehen den Athletinnen zur Verfügung. Mehrere Teamfahrzeuge in den Rennen gibt es. Hinzu kommt ein Lkw für all das Material. „Früher sind wir zum Giro d’Italia, der damals die größte Rundfahrt war, mit zwei Autos hingefahren, mit einem Kleintransporter und einem ganz kleinen LKW. Wir hatten zwei Physiotherapeuten dabei, zwei Mechaniker und mich als Sportlichen Leiter. Wir konnten gerade so die Autos bewegen. Wenn da einer ausgefallen wäre, dann wäre es richtig doof geworden“, erinnert sich Lauke und lacht. „Irgendwie ging es auch“, meint er.
Das ist brutal groß geworden. Manchmal muss ich mich selber kneifen.
Ronny Lauke, Rennstallchef Canyon SRAM
Aber toll sei eben auch, wie alles gewachsen sei. Drei Sportliche Leiter, die sich nur um die Teamtaktik kümmern, hat Lauke mittlerweile eingestellt. „Früher waren wir zu zweit und haben Marketing und all das Organisatorische auch noch selbst gemacht“, blickt er zurück. Vier Physiotherapeuten fahren mit, vier Mechaniker. Einen eigenen Koch und eine Ärztin gibt es ebenfalls. „Das ist brutal groß geworden. Manchmal muss ich mich selber kneifen“, sagt Lauke.
Natürlich, mit dem Männerradsport kann der Frauenradsport noch immer nicht mithalten. Die Siegprämien bei dieser Tour de France Femmes nehmen sich geradezu lächerlich gegenüber denen der Männer aus. Die Siegerin der Frauentour wird 50.000 Euro erhalten. Jonas Vingegaard, der Sieger der Tour de France der Männer, konnte sich am letzten Sonntag über 500.000 Euro freuen, also das Zehnfache. Insgesamt werden an das gesamte Frauenpeloton, also Siegerinnen der Trikotwertungen, Etappensiegerinnen und bestes Team, 250.000 Euro ausgeschüttet. Ein Mann ist doppelt so viel wert wie 154 Frauen, die die Tour de France Femmes in Angriff nahmen – krasser kann ein Gender Gap kaum ausfallen.
Die Prämien steigen immerhin
Es hat sich in den letzten Jahren allerdings einiges getan. Der Ausrichter der Flandernrundfahrt, einem der spektakulärsten und traditionsreichsten Klassikerrennen, zahlt mittlerweile Männern und Frauen die gleichen Preisgelder. Der Weltradsportverband UCI hebt Jahr für Jahr das Mindestgehalt auch für die Frauen an. Team Jayco AlUla erhöhte aus eigener Intitiative die Mindestsumme der Frauen von 32.000 Euro auf die 38.000 Euro, die für männliche Berufseinsteiger vorgesehen sind. Und die Stars der Szene können locker von ihren Gehältern leben.
Für Annemiek van Vleuten, die aktuelle Weltmeisterin und Gewinnerin der letzten sechs Grand Tours, gibt Team Movistar jährlich 250.000 Euro aus. Lorena Wiebes, derzeit die beste Sprinterin unter den Frauen, wurde Brancheninformationen zufolge mit einem Jahressalär zwischen 400.000 und 500.000 Euro von ihrem früheren Rennstall DSM zu SD Worx gelockt. Das ist der derzeit dominierende Rennstall. 49 Siege fuhr das Team in diesem Jahr bereits ein. Die meisten Klassikerrennen – bis auf Paris – Roubaix – waren darunter.
Bei der Internationalen Thüringenrundfahrt – der einzigen Frauenrundfahrt in Deutschland übrigens – gewann SD Worx alle sechs Etappen und die Gesamtwertung. Die Belgierin Lotte Kopecky, Siegerin in Thüringen, schlug auch gleich auf der 1. Etappe der Tour de France Femmes zu und fährt seitdem im Gelben Trikot. Teamkollegin Demi Vollering gilt als aussichtsreichste Kandidatin, Top-Favoritin van Vleuten den Double Grand Slam, also den Sieg bei allen drei großen Rundfahrten in zwei Jahren hintereinander, zu vermasseln.
Von der Dichte an Stars, wie sie SD Worx hat, ist Laukes Rennstall Canyon SRAM ein ganzes Stück entfernt. Mit Katarzyna Niewiadoma hofft er aber erneut auf einen Podiumsplatz im Gesamtklassement der Tour. „Und warum nicht den ganz oben“, sagt er lachend. Niewiedoma ist eine der besten Bergfahrerinnen im Peloton. Sie hat extra die Italienrundfahrt ausgelassen, um sich in Andorra, wo sie wohnt, auf den Sturm auf den Tourmalet vorzubereiten. Der Pyrenäengipfel wird am Samstag angefahren. Es ist die Königsetappe der Tour de France – und zugleich ein weiterer Beleg für das Wachstum des Frauenradsports. Denn natürlich können auch weibliche Radprofis die großen Gipfel des Straßenradsports bezwingen.