Badeenten, die quietschen, beißen auch
Der norwegische Schriftsteller Erik Fosnes Hansen ist ein weltläufiger Mann. 1965 in White Plains/New York geboren, wuchs er als Sohn eines Reisebüromanagers auf, mit dem er als Kind bereits entlegene norwegische Hotels abklapperte. Ein solches, dem Ruin heroisch entgegentreibendes Unternehmen war der Schauplatz seines letzten Romans „Ein Hummerleben“.
Fosnes Hansen hat aber auch zwei Jahre in Deutschland gelebt – womöglich ein Grund dafür, dass sein neuer Roman „Zum rosa Hahn“ nun in Jüterbog spielt. Auch wenn die Stadt wenig zu tun hat mit jenem Jüterbog, das sich gut siebzig Kilometer südlich von Berlin auf der Landkarte der Realität findet.
Zwei Goldmacher, unterwegs auf einer sandigen brandenburgischen Landstraße. In Jüterbog wollen sie mit ihrer alchemistischen Kunst auftreten. Erst viel später wird erklärt, welche Bewandtnis es mit dem Gold in dieser Welt hat, die zunächst recht mittelalterlich anmutet. Das ändert sich bereits an der Stadtgrenze, wo die Goldmacher in die Fänge einer kafkaesken Grenzbürokratie geraten.
Fosnes Hansens berühmtestes Buch ist der 1990 erschienene Titanic-Roman „Choral am Ende der Reise“ – ein mit viel Recherche unterfüttertes historisches Panorama Europas am Vorabend des Ersten Weltkriegs. „Zum rosa Hahn“ folgt einem völlig konträren Konzept: Es ist ein Fabulierkunstwerk, das von den Beschränkungen der historischen Realität nichts wissen will und mit Augenzwinkern auch die physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzt.
Skurril mischt sich in der Lebenswelt von Jüterbog das Moderne mit dem Archaischen und Verwunderlichen. Man staunt über Telefone, die bei längerem Klingeln ihre Farbe ändern, über einen lauthals jammernden Brotteig, fliegende Zeitungen, eine geschwätzige Nasenwarze und Blumen, die auf ein Händeklatschen hin blühen.
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Die Dinge sind voller Widerspenstigkeit und Eigensinn, weshalb der Kellner im Wirtshaus „Zum rosa Hahn“ bei der Bestellung zur Vorsicht rät: Der Spargel habe sich in dieser Saison als übellaunig erwiesen, bei der Ernte beiße er mit seinen gezahnten Blättern, und die Wut verleihe ihm einen bitteren Beigeschmack.
Eine der Hauptfiguren ist eine alleinerziehende Mutter, die geplagt wird von sozialen Ausgrenzungsmaßnahmen und behördlichen Schikanen. Ein vor ihrem Haus aufgestellter Kältegenerator lässt einen eisigen Luftzug durch die Wohnung der säumigen Steuerzahlerin wehen. Ihre Tochter wurde beim Schwimmunterricht von einer wütenden Badeente (!) gebissen und ist seitdem chronisch krank.
Ihr Sohn verfügt über ein rebellisches Temperament, so dass sein verärgerter Klassenlehrer zum Verkauf des Jungen rät, während der zuständige Pfarrer der verstörten Mutter gar die „Einschläferung“ vorschlägt, zumal die Kirche gerade ein tolles „Sonderangebot für Kinderbestattungen“ habe, rührender Knabenchor inbegriffen. Die Geistlichen müssen hier übrigens ein Examen in Akustik ablegen, damit sichergestellt ist, dass sie die Stimme Gottes hören.
Das Phantastische bei Hansen führt oft zu schärferer Realitätswahrnehmung
Auf den ersten zweihundert Seiten ist man hingerissen vom makabren Witz und Einfallsreichtum des Autors und vergnügt sich mit ihm in der surrealen Schreckenswelt seines Romans. Märchenhafte Zutaten wie sprechende Katzen und Hunde nimmt man in Kauf, weil das Phantastische – wie bei E.T.A. Hoffmanns „Kater Murr“ – zugleich viele Momente einer gewissermaßen erhöhten Realitätsschärfe hat. Etwa dann, wenn mit bissiger Komik die korrupte, umständliche Bürokratie von Jüterbog geschildert wird, ein bösartiges Herrschaftssystem, in dem das Überwachen und Strafen der Bürger zum Selbstzweck geworden ist.
Leider fällt Erik Fosnes Hansen bei aller Phantastik gegen Ende dann doch nur ein Krimiplot eins
Markgräfin Clotilde, die Regentin der Stadt, vereint in ihrer Person die Tugenden der Langeweile und Inkompetenz. Bei der Abstrafung eines beliebten Ministers bringt sie den Mann versehentlich gleich ganz um, was die Regierung zu populistischen Gegenmaßnahmen zwingt. Pfiffig lesen sich auch die Passagen, in denen die beiden um ihre Auftrittsmöglichkeiten bangenden Goldmacher ein ums andere Mal die Obrigkeit überlisten.
Leider schwindet die Begeisterung in der zweiten Hälfte, wenn es gilt, den Plot Richtung Finale zu führen. Da ist dem sonst so findigen Erik Fosnes Hansen nur eine bei aller Phantastik doch eher konventionell anmutende Verschwörungs- und Kriminalhandlung eingefallen. Es wimmelt in Jüterbog plötzlich von Agenten, die sich gegenseitig Botschaften abluchsen. Es wimmelt vor allem von weißen Mäusen im Untergrund, die es auf Revolution abgesehen haben. Die Show der Goldmacher wird zum Desaster. Ein Attentat auf Regentin Clotilde läuft schief und führt zu deren endgültiger Vergoldung, was allzu umständlich durch alchemistische Prozesse erklärt wird.
Anders als die surrealen Details zuvor wirkt dieser Plot in einem weniger guten Sinn ausgedacht. Die große Mäuseverschwörung lässt einen kalt. Plötzlich vermisst man Logik und Sinn, worauf man zuvor doch gemeinsam mit dem gut gelaunten Autor gepfiffen hat. Schade um ein Buch, das so viele Ideen und Sprachwitz hat.