Dr. Tröndles gesammeltes Schweigen
Die Vorstellung ist faszinierend: Lässt sich wissenschaftlich beweisen, was Menschen fühlen, wenn sie ein Konzert mit klassischer Musik besuchen? Martin Tröndle glaubt, dass es möglich ist. Als Professor an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen beschäftigt er sich schon lange mit der Publikumsforschung. Jetzt hat er sich mit dem Berliner Dramaturgen und Konzertdesigner Folkert Uhde, dem Max Planck Institut für empirische Ästhetik, der TU Dortmund und den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern zusammengetan, um ein groß angelegtes Forschungsprojekt zu starten.
Gastgeber dafür sind das Radialsystem am Ostbahnhof und der Pierre Boulez Saal. Hier sollen 1200 Probanden Musik lauschen, während sie einen Datenhandschuh und ein Brustband tragen, die im Sekundentakt Informationen über Atemfrequenz und Hautleitfähigkeit liefern. Vor den Aufführungen werden sie nicht nur verkabelt, sondern auch zu Alter und Vorkenntnissen befragt, zu ihren Erfahrungen und Erwartungen. Eine weitere Befragung findet nach dem Musikerlebnis statt.
Es gibt viele Thesen zum Thema Konzerterfahrung
Seit 2016 arbeiten Martin Tröndle und sein Team an dem interdisziplinären Mammutprojekt, das mit Fördergeldern in Millionenhöhe unterstützt wird. Wenn es um die Frage geht, welche Faktoren für einen gelungenen Konzertabend besonders wichtig sind, werde man viele verschiedene Thesen hören, erklärte Martin Tröndle am Donnerstag bei einem Pressetermin im Radialsystem – je nachdem, ob Interpreten oder Veranstalter, Soziologen, Psychologen oder Musikkritiker:innen antworten, mit ihren jeweils individuellen Erfahrungen im Kopf.
Das „Experimental Concert Research“-Projekt soll jetzt objektive Fakten liefern. Die Konzerte im Boulez Saal finden am 13. und 14. April statt, die Konzertreihe im Radialsystem startet am 28. April.
Das Publikum liefert schweigend hilfreiches Datenmaterial
Die aufwendige, extra für das Forschungsvorhaben entwickelte Technik steht bereit, jetzt müssen „Laborratten“ gefunden werden, also Menschen, die bereit sind, dem Computer jede Menge Informationen zu liefern, während sie schweigend zuhören. Geboten wird stets dasselbe Programm mit Werken von Beethoven, Brahms und Brett Dean, interpretiert von einem Streichquintett. Zwei Formationen teilen sich die Konzerte, eine Starbesetzung um den Cellisten Alban Gerhardt und ein junges Ensemble.
Die Darbietungsform ändert sich von Abend zu Abend, denn die Stückfolge wird mal ganz traditionell gespielt, mal mit Lichteffekten oder Video angereichert, durch Moderationen erklärt oder auch mit einem Dolby-Surround-Soundsystem verstärkt. Welche Version an welchem Abend erklingt, wird aber vorab nicht verraten, damit das Hörerlebnis ganz unvoreingenommen beginnt. Gesucht werden sowohl Personen, denen es im Konzertsaal gar nicht experimentell genug zugehen kann, als auch wertkonservative Klassikfans, die finden, dass die tradierten Rituale ihre Berechtigung haben. Verlockend ist der Ticketpreis: Probanden zahlen nur sechs Euro für den Kunstgenuss.