Präzision und Bildung: Zum Tod des Theaterkritikers Günther Grack
Natürlich hat man Günther Grack früher auf allen wichtigen Berliner Theaterpremieren gesehen. Mit gezücktem Stift und Notizblock, als Kritiker für den Tagesspiegel. Doch unsere erste persönliche Begegnung fand im Frühjahr 1997 im alten Café Einstein statt, und Günther Grack trank zunächst wohl einen Beruhigungstee.
Dieser schmale, feine Herr war besorgt. Denn er wusste, ich würde als vormaliger Herausgeber der Zeitschrift „Theater heute“ kurze Zeit später die Leitung der Kulturredaktion übernehmen. Also befürchtete Grack nun die Konkurrenz des jüngeren Vorgesetzten.
Grack wurde 1934 in Königsberg geboren
Darum hatte ich ihn ins Café gebeten – um ihm vorab zu versichern: „Lieber Herr Grack, Sie bleiben unser Theaterkritiker, die Bühne ist ihr Terrain! Ich werde mich nur ab und zu mal bei Ihnen für eine Aufführungsbesprechung bewerben…“
Das war kein Scherz, und von diesem Augenblick an bestand jenes unverbrüchliche Vertrauen, das alle Mitarbeiter des Tagesspiegels in diesen wunderbaren Kollegen G. G. (wie sein Kürzel lautete) hatten.
Wobei das doppelte „G“ auch für größte Genauigkeit hätte stehen können. Denn der 1934 in der Kant-Stadt Königsberg geborene Kulturjournalist Günther Grack war ein Mann der besonderen Präzision und umfassenden Bildung.
Auf seine Beschreibungen von Aufführungen, ob von Peter Stein einst an der Berliner Schaubühne oder Hans Neuenfels vor der Schließung der Staatlichen Bühnen im Schiller-Theater, konnte man fast dokumentarisch vertrauen.
Grack war kein sich stilistisch Vordrängender, war lieber ein dezent anschaulicher Schilderer, der in seinen Rezensionen erst Umsicht und Vorsicht walten ließ. Bevor er sein Urteil fällte und die eigene Meinung als seinen mal schärferen, meist eher milden Senf zum Hauptgericht gab.
Diese für einen Kritiker seltene Zurückhaltung hatte freilich nichts mit Unsicherheit zu tun. Grack verbarg nie seinen leicht konservativen, aufs kultivierte, nicht unbedingt chaotisch wilde Spiel erpichten Blick. Er war kein Freund der Dekonstruktion von dramatischen Texten. Er wollte die Komposition.
War er doch selbst, bevor er 1961 in die Redaktion des Tagesspiegels kam, auch ein behutsamer Erzähler gewesen, dessen erster Prosaband „Frühe Schatten“ hieß. Wobei der Literatur seine Liebe neben dem Theater galt, und er ein geschätzter Rezensent auch der modernen, zeitgenössischen Weltliteratur war. Nun ist er nach Weihnachten in Berlin mit 88 Jahren gestorben.
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