„Ich dachte, wir wären mittlerweile viel weiter“
Beim Zweitliga-Heimspiel des Hamburger SV gegen den FC Hansa Rostock ist es am Sonntagnachmittag zu einem homofeindlichen Vorfall gekommen. In der Nordkurve hatten Fans ein Banner hochgehalten, auf dem ein homofeindlicher Spruch in Richtung der Gäste zu lesen war.
Das Spiel sollte ganz im Gedenken an die Vereinslegende Uwe Seeler stehen, der wenige Tage zuvor im Alter von 85 Jahren gestorben war. Vor Spielbeginn hielten Fans, die ganz in schwarz gekleidet waren, deshalb zwei entsprechende Banner in die Höhe.
„Eigentlich fing alles mit der Uwe-Seeler-Choreografie an“, erzählt ein Fan, der anonym bleiben möchte. „ich saß inmitten der Hansa-Rostock-Fans, die plötzlich vorgelesen haben, was auf einem Banner aus der Nordkurve stand.“ Als sie dann zur Tribüne schaute und das Banner mit dem homofeindlichen Spruch sah, war sie schockiert und enttäuscht zugleich.
„Für Spieler, die nicht heterosexuell sind, muss es schlimm sein, von den eigenen Fans beleidigt zu werden. Aber auch für Fans, die queer sind, ist es schmerzhaft. Ich dachte, wir wären mittlerweile viel weiter.“
Solange es derartige Beleidigungen auf der Tribüne gäbe, würde sich kein Profi trauen, sich zu outen.“ Sie erwartet, dass der Verein den Vorfall umfangreich aufklärt und entsprechende Sanktionen verhängt. „Die Leute müssen nicht ein Leben lang aus dem Stadion verbannt werden, aber sie müssen ihre Lektion lernen.“
Pascal Kaiser, der Schiedsrichter in der Prignitz ist und kürzlich öffentlich gemacht hat bisexuell zu sein, sieht das ähnlich: „Aktionen wie diese erleichtern ein Coming-out keineswegs. Ganz im Gegenteil: Sie tragen dazu bei, dass sich queere Menschen, die den Schritt zum Coming-out noch nicht gemacht haben, weiter zurückziehen.“
Positive Entwicklungen
Der HSV verurteilte den Vorfall unmittelbar nach Abpfiff. Auf Twitter schrieb der Zweitligist: „Wir distanzieren uns klar und deutlich von diskriminierenden Inhalten. Diskriminierung hat im Volksparkstadion und beim HSV keinen Platz.” Anschließend kündigte er an, Schritte einzuleiten, um den Vorgang aufzuklären.
Cristin Gießler, die bei der Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene Soziale Arbeit (KoFaS) arbeitet und das Projekt „Vielfalt im Stadion – Zugang, Schutz und Teilhabe“ leitet, lobt die schnelle Reaktion: „Es ist gut, dass der Vorfall direkt aufgegriffen und klar als Diskriminierung benannt wurde. In den vergangenen Jahren ist da eine positive Entwicklung zu erkennen: Homofeindlichkeit wird als solche benannt und es ist nicht mehr die Rede von Homophobie, bei den Vereinen und in den Medien.“
Auch ihre Kollegin Almut Sülzle, wissenschaftliche Mitarbeit bei der KoFaS, sagt: „ Der Hansa-Hooligan soll als schwul beschimpft werden. Das ist eine Abwertung, eine homofeindliche Beleidigung. Es ist gut, dass der HSV das schnell verurteilt hat.“
„Bei Hopp funktioniert es und beim Thema Antidiskriminierung nicht“
Die Fifa nutzt seit 2019 ein dreistufiges Verfahren, das es Schiedsrichter*innen ermöglicht, bei gravierenden diskriminierenden Vorfällen einzuschreiten. Die Unparteiischen können demnach das Spiel stoppen, aussetzen oder sogar abbrechen. Diese Regeln gelten für alle Fifa-Wettbewerbe. Verbände und Ligen sind dazu aufgefordert, aber nicht verpflichtet, sie auch auf nationaler Ebene umzusetzen.
„Ich finde es richtig, dass die Regeln eingeführt wurden, sie müssen aber auch konsequent umgesetzt werden“, sagt Christian Rudolph, Leiter der Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt beim Deutschen Fußball-Bund.
„Die andere Möglichkeit wäre, dass Spieler eigenständig vom Platz gehen, bei Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Homofeindlichkeit und anderen Formen der Diskriminierung.“ Der Fall Dietmar Hopp habe gezeigt, dass Teams durchaus in der Lage dazu seien. Bei einem Bundesliga-Spiel war dieser vor zwei Jahren auf einem Banner aus der Bayern-Kurve beleidigt worden, woraufhin die Spieler beider Teams das Spiel beendeten und sich den Ball nur noch hin- und her passten.
„Das ist bizarr: Bei Hopp funktioniert es und beim Thema Antidiskriminierung nicht“, sagt Rudolph.
Auf die Selbstregulierung in den Kurven hoffen
Gießler findet die Anwendung des Drei-Stufenplans im Falle des HSV eher ungeeignet. Dieser bezieht sich auf den Schutz von Spieler*innen. „Der DFB sagt selbst, dass das Verfahren nicht inflationär verwendet werden soll, um zu vermeiden, dass Diskriminierung bagatellisiert wird. Außerdem stellt sich die Frage, welche Regularien überhaupt für derartige Vorfälle geeignet sind.“
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Leider gehöre es zur Fan-Logik dazu, den Gegner abzuwerten und das funktioniere über die Abwertung der Männlichkeit offenbar immer noch gut. In vielen Fanszenen würden traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit dominieren, deshalb spielten Sexismus und Homofeindlichkeit eine große Rolle. „Man kann nicht mit Verboten verhindern, dass so etwas gezeigt wird. Man kann eher auf eine Selbstregulierung in den Kurven setzen und darauf, dass andere Fans positiv einwirken.“
Innerhalb der Fanszenen gibt es zahlreiche Initiativen, die sich gegen Diskriminierung stark machen, wie zum Beispiel „Fußballfans gegen Homophobie“ oder „Queer-Football-Fanclubs“.
Diese Initiativen hätten einen großen Anteil daran, dass das Bewusstsein für Homofeindlichkeit im Fußball in den vergangenen zehn Jahren enorm gestiegen sei, sagt Gießler.
Rudolph fordert deshalb, diese zu stärken und finanziell zu unterstützen, um die nötigen Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. „Man darf nicht alle Fans über einen Kamm scheren, denn es gibt zahlreiche Fans, die sich ganz klar positionieren.“
Solche Statements könnten bereits am kommenden Samstag auswärts im Pokal in Bayreuth zu lesen sein. Beim nächsten Heimspiel im August soll dann die Initiative „Welcoming Out“ vorgestellt werden.