Hat René Pollesch nichts zu sagen – außer über sich selbst?
Großes Familientreffen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Es ist ein einziges Langenichtgesehen und Wiegehtesdir. Die Volksbühne war vor der Pandemie in harten Phasen des Übergangs und Beinahe-Weltuntergangs, aber sie steht ja noch. Zur Wiedereröffnung, zum Start der neuen René-Pollesch-Intendanz, sind viele aus der legendären alten Truppe gekommen, Dramaturgen, Schauspielerinnen, Backstage-Personal. Frank Castorf ist nicht da. Er hat Premiere am Wiener Burgtheater.
Vor dem Theater steht ein Zirkuszelt, Kinder singen auf der Wiese. Die Wahlplakate zeigen groß Klaus Lederer, hier befindet sich auch die Parteizentrale der Linken, und für den Kultursenator ist Pollesch die Traumbesetzung für die Volksbühne. Drinnen im Saal soll auch Manegenstimmung aufkommen. „Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen“: Pollesch besitzt ein großartiges Talent für Stücktitel. Muss man diese Uraufführung programmatisch verstehen?
Vier Akteure verlieren sich auf der weiten Bühne, Kathrin Angerer, Susanne Bredehöft, Margarita Breitkreiz und Martin Wuttke. Ein fünfter kommt dazu – der Vorhang, das Hauptstück im Bühnenbild von Leonard Neumann. Er ist rot, sinkt vom Schnürboden herab und dreht Pirouetten. Öffnet und schließt sich, ein eigener Organismus.
Bei Pollesch führt die Frage, worum es eigentlich geht im Text, nie besonders weit. Sie reden von Trapezkünstlern, später von Tolstoi, von früh gealterten Jugendlichen und einem Roboter, der Bier trinkt. Wuttke tritt mit einem weiteren Mitspieler auf – ein Skelett sitzt auf seinem Rücken, und der Knochenmann raucht, wie sein Strippenzieher. Nicht rauchen, fleht Margarita Breitkreiz; das wird eine Art running gag. Sie quatschen, wie so oft, in Verschlingungen von der hohen Kunst und der banalen Paxis: „Dem Regisseur zu gefallen ist ja wirklich die Katastrophe. Und man denkt ja immer, dem Publikum zu gefallen sei die Katastrophe, aber nein. Dem Regisseur.“ Dann dröhnt Kate Bush aus den Lautsprechern, „Running up the Hill“, und es gibt noch eins drauf: „Das Problem der Regisseure ist ja, die können nicht schreiben.“
Pollesch kokettiert mit Pollesch. Die Spieler befassen sich in ihren Monologen mit einem imaginären Selbst, das auf Pollesch verweist, Autor, Regisseur und nun auch Intendant. Wie einst Brecht. Und an ihm arbeitet er sich in dem neuen Stück vom „Vorhang“ auch etwas ab.
Die Fans sind zufrieden
Hätte er denn womöglich etwas zu sagen? Klar, ein Pandemie-Stück oder was zur Wahl oder zum Klima will man ja nicht unbedingt; das kommt schon noch, das brandaktuelle Theater. Aber irgendeinen Punkt könnte er schon machen. Es ist das erste Stück eines frischen Beginns, und es wirkt schon wieder gut abgehangen.
Es dreht sich um sich selbst, langsam und gemütlich, die Fans sind zufrieden. Pollesch hat vorgebaut: „Es gibt ja so die Erwartungen, wenn ein Vorhang aufgeht: Wann passiert endlich mal wieder was Krasses, das einen betrifft, das einen überwältigt. Bevor diese Erwartungen dann ganz langsam wieder sterben in den ersten Minuten, nachdem der Vorhang hochging.“
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So war es auch, enttäuschend lahm. Das dürfte sich ändern, wenn in der kommenden Woche Florentina Holzinger zum Totentanz in die Volksbühne lädt. „A Divine Comedy“, nach Dante: „Wir empfehlen für den Besuch der Vorstellung ein Mindestalter von 18 Jahren. In dem Stück sind Nacktheit und sexuelle Handlungen zu sehen“, heißt es auf der Website des Theaters.
Wer schon einmal eine Performance der jungen Choreographin erlebt hat, zum Beispiel in den Sophiensälen beim Theatertreffen, nimmt den Hinweis ernst. Es ist auch für gestandenes Theaterpublikum schwer auszuhalten. Darauf folgt der nächste Pollesch: „Die Gewehre der Frau Angerer“, eine Koproduktion mit den Wiener Festwochen, wieder mit Katrhin Angerer und Martin Wuttke.
Am Ende bleibt Ratlosigkeit
Noch einmal zurück zum Anfang mit dem Vorhang: Wuttke schwärmt von seiner Robotertypen, den man zum Bier einladen kann, und Margarita Breitkreiz freut sich: „Ey, hör mal zu! Ich hab zum ersten Mal nen unbefristeten Vertrag in der Tasche.“ Pollesch schreibt, Pollesch inszeniert, Pollesch gibt, er ist der Boss an der Volksbühne, auch wenn er mantramäßig von „Wir“ spricht, von den „Träger:innen der Intendanz und einer bestimmten Arbeitspraxis“.
Es macht den Spielern Spaß. Das sieht man. Und es wirkt sehr intern. Künstlerische Insidergeschäfte – zum Auftakt eine dünne Suppe mit bekannten Einlagen. Macht nicht satt, aber die größere Frage ist, ob es Appetit macht? Nach neunzig Minuten steht man wieder draußen bei den guten alten Bekannten, ratlos. Jemand meint: Wenn Maestro Barenboim die Spielzeit eröffnet, dann stellt er sich ja auch nicht mit einem Triangel auf die Bühne. Plingpling: Das hätte Pollesch einfallen können.