Stadtansichten von Bernardo Bellotto

Auf dem Umgang oben am Turm der Kreuzkirche fällt das Sonnenlicht auf das Gesicht eines Turmbläsers und seine Posaune; ein zweiter, kenntlich nur an dem hervorgestreckten Blasinstrument, wird durch ihn verdeckt. Die Kurrendesänger, Schüler aus Lateinschulen, die auf den Straßen mit Gesang um Almosen bitten, stehen ganz im Schatten der Häuser am Neumarkt, die Frauenkirche im Rücken.

Es sind solche nur Zentimeter großen Details, die die Gemälde Bernardo Bellottos lebendig machen. Mehr noch, die beiden Musikergruppen verknüpfen die wohl als Pendants gedachten, formatgleichen Ansichten der Kreuzkirche und der Frauenkirche, zwei der herausragenden Kirchenbauten Dresdens. Dorthin ging der aus Venedig stammende Maler 1747 im Alter von 25 Jahren, um mit der beim Onkel Antonio Canal genannt Canaletto erlernten Vedutenmalerei seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Unerschöpfliches Reservoir an Motiven

Die sächsische Residenzstadt bot mit ihren zahlreichen Neubauten ein unerschöpfliches Reservoir an Motiven. Vor allem aber ließ Kurfürst Friedrich August II., zugleich als August III. polnischer König, sein Land nach neuesten Methoden vermessen. Dazu gehörte, die wichtigsten Baulichkeiten der Hauptstadt wie auch der Verteidigungsanlagen im Bild festzuhalten.

Darin zeigte sich Bellotto, der sich anfangs mit dem Namen des berühmten Onkels schmückte und Bilder signierte, als konkurrenzloser Meister. Bereits seine beiden ersten Dresdner Stadtansichten, vom rechten Elbufer einmal oberhalb, dann unterhalb der neuerrichteten Augustusbrücke gesehen, begründeten seinen Ruhm – und das bis auf den heutigen Tag.

Dresden lässt sich gar nicht anders sehen als mit den Augen Bellottos, und so wie der Maler Bauten kaum merklich in den Proportionen veränderte oder aber noch ausstehende Bauzustände vorwegnahm, um eine ideale Ansicht zu gewinnen, so kommt einem heute das jahrzehntelange Fehlen der Frauenkirche im Dresdner Panorama wie ein Irrtum des Gedächtnisses vor, der dem Wahrheitsgehalt der Bellotto-Vedute nichts anhaben konnte. So war Dresden, und so wird es immer sein.

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Die Ausstellung, die die Gemäldegalerie Alte Meister jetzt dem Maler widmet, wird, das lässt sich ohne Wagemut vorhersagen, ein Publikumserfolg sondergleichen. An diesen Bildern kann man sich nicht genug tun, nicht zuletzt wegen Details wie den eingangs erwähnten Musikanten.

Der Besucher möge genau hinsehen und mit den Augen in die Bilder hineinsteigen, hat Galeriedirektor Stephan Koja bei der Vorbesichtigung gemahnt. Kokuratorin Iris Yvonne Wagner ist es gelungen, nicht weniger als 69 Gemälde Bellottos zusammenzutragen und den eigenen, reichen Bestand von 36 Werken knapp zu verdoppeln.

Detailgenauigkeit dank der camera obscura

Was Bellottos Bilder so faszinierend macht, ist das Zusammenspiel von groß und klein. Der Maler vermochte mit Hilfe der damals verbreiteten Technik der camera obscura, höchst genaue Ansichten der einzelnen Bauten zu gewinnen wie vom gesamten Panorama, das er darstellen wollte.

„Der Marktplatz von Pirna“, gemalt von Bernardo Bellotto.Foto: Gemäldegalerie Alte Meister /SKD

Dieser sehr nüchterne Schaffensprozess ist ablesbar an den Zeichnungen in der Ausstellung, etwa der Vorzeichnung zur Kreuzkirche mit ihrem feinen Linienraster. Bei der Untersuchung des Dresdner Eigenbestandes der Gemälde konnten Linien und Markierungen festgestellt werden, die die Übertragung der in der Zeichnung angelegten Quadrierung belegen. Bellotto wusste genau, was er an welcher Stelle zu malen hatte.

Doch dann kommt der Künstler ins Spiel, der Beobachter des alltäglichen Lebens und seiner Begebenheiten. Die Musiker wird er oft gesehen und gehört haben; genug, um sie im Gedächtnis zu behalten und im Gemälde unterzubringen, wo sie dessen Verlebendigung bewirken, ohne den statuarischen Gesamteindruck zu beeinträchtigen.

Überall geschieht etwas, meist nichts Bedeutendes; oder es ist, wie die Kutschfahrt des Kurfürsten-Königs über den Neumarkt im gleichnamigen Gemälde, doch so alltäglich, dass der große Augenblick der königlichen Erscheinung verblasst gegenüber dem in der Wiederkehr befestigten Eindruck der Ordnung, die das „gute Regiment“ des Fürsten über das Land gebracht hat. Die Ausstellung trägt den Untertitel „Zauber des Realen“, der genau jenes Mehr umschreibt, das Bellottos Kunst gegenüber der bloßen Wiedergabe von Wirklichkeit auszeichnet.

Bellottos Zeit in Wien

Bellotto gelangte in Dresden zu Ansehen und Wohlstand. Doch die fraglos glücklichen Zeiten, die die Gemälde beschwören, gingen abrupt zu Ende. Unter dem Bombardement der preußischen Truppen, die Friedrich der Große 1756 in einen Eroberungskrieg gegen Kursachsen geschickt hatte, wurden Bellottos Wohnhaus und sein Bestand an Bildern und Druckplatten zerstört.

Der Maler weilte zu dem Zeitpunkt bereits in Wien, um dort sein Können in ruhigeren Umständen auszuüben; es gelang, die 1759/60 entstandenen Ansichten aus den Beständen des Kunsthistorischen Museums und des Liechtenstein Museums in Wien auszuleihen. Die Formate sind etwas kleiner als bei den in Serie erstellten Bildern aus Dresden, aus Pirna und von den Festungen Sonnenstein und Königstein, die die jetzige Ausstellung bestimmen.

Als Bellotto nach Dresden zurückkehrte und das Ausmaß der Zerstörungen sah, das den Kriegsschauplätzen unserer Zeit so furchtbar gleicht, malte er davon zwei Ansichten, eine des Stadtviertels, in dem sein eigenes Haus zerstört worden war, und eine der Kreuzkirche, deren zur Hälfte aufrecht stehende Ruine gerade abgetragen wird. Man mag das bittere Gefühl erahnen, mit dem Bellotto diese Ansicht festhielt – der er doch 17 Jahre zuvor die Katholische Hofkirche als bereits vollendet in seine Vedute einfügen konnte, während sie noch im Bau war, doch in der sicheren Aussicht ihrer Vollendung!

Die Bilder gingen in den Besitz der russischen Zarin über

In Dresden erhielt der zurückgekehrte Maler nur noch eine mindere Anstellung, es gab keine Aufträge mehr. So ging er 1767 nach Warschau und wird vom neuen polnischen König Stanislaus II. als Vedutenmaler an den Hof berufen. Die Familie kommt nach, Dresden ist Geschichte.

[Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, bis 28. August. Katalog im Sandstein Verlag, 48 €.]

Die Repliken der im sächsischen Staatsauftrag gemalten Bilder, die er für den Grafen Brühl, den mächtigen Minister des verstorbenen Kurfürsten, angefertigt hatte, gehen nach dessen Tod durch Ankauf in den Besitz der russischen Zarin Katharina II. über – sie jetzt aus der Petersburger Eremitage herzuleihen, stand nie zur Diskussion und ist seit dem 24. Februar ohnehin hinfällig.

Stadtansichten im Breitband-Format

In der Sempergalerie, dem Gebäude der Gemäldegalerie Alte Meister, muss die Ausstellung auf zwei getrennte Stockwerke verteilt werden – zu groß sind die Formate, um alle Bilder in den Wechselausstellungsräumen im Erdgeschoss zu versammeln. In Dresden nahm Bellotto meist Leinwände von um die 136 auf 237 Zentimetern.

Das Verhältnis von 16:9 kommt dem Bildwinkel des menschlichen Auges am nächsten. Bellottos Bilder zeigen das Ganze zwar auf den ersten Blick, doch muss das Auge anschließend hin- und her wandern. Es herrscht Leben, und zugleich überzeitliche Ruhe. Oder sollte man sagen: das Glück eines friedlichen Lebens? Neun Jahre nach seinem Tod machte die Französische Revolution der Epoche Bellottos ein Ende.