Präsentation im Bode-Museum: Lieder kehren zurück

Eine musikalische Soiree, bei der das Volkslied „Ich möchte sein ein Vögelein“, das Kunstlied „Die Loreley“ nach einem Text von Heinrich Heine und das jüdische Traditional „Dos Kelbl“ vorgetragen werden, mag zusammengewürfelt erscheinen. Aber am Mittwochabend, als diese Stücke vom Mädchenchor der Berliner Sing-Akademie unter der Leitung von Kelley Sundin und Eva Spaeth in der Basilika des Bode-Museums gesungen wurden, war es ein absolut schlüssiger, vielleicht historischer Moment. Weil es sich gewissermaßen um eine Heimkehr handelte.

Denn alle Stücke stammen aus einem Liederbuch, das 49 deutschsprachige und 100 hebräische Titel enthält und 1912 dank der Unterstützung des Mäzens James Simon in Berlin und Jerusalem herauskam. Es war das erste seiner Art, konzipiert als Schulbuch, und erreichte bis 1922 in acht Auflagen mit 20 000 bis 50 000 Exemplaren große Verbreitung. Mit ihrer gleichberechtigten Verwendung von hebräischer und deutscher Musik stand die Sammlung für eine Kultur, die 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete.

Vor drei Jahren wurde ein Exemplar des Liederbuchs in der Israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem entdeckt. Nun publiziert der Schott-Verlag eine von israelischen und deutschen Forschern übertragene Ausgabe, welche die Lieder in die Gegenwart bringen soll, zu singen in Chören und im Musikunterricht.

Hermann Parzinger, als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sozusagen Hausherr des Bode-Museums, erinnerte an den Genius loci. Er sprach von James Simons „kongenialem Austausch“ mit dem Kunsthistoriker Wilhelm von Bode beim Aufbau seiner Renaissance-Sammlung, die der Unternehmer 1904 zur Eröffnung dem damaligen Kaiser-Friedrich-Museum (heute: Bode-Museum) schenkte.

Simons Credo, so Parzinger, lautete Kunst und Kultur für alle zugänglich zu machen.. Felix Klein, der Bundes-Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland, sagte, dass das Liederbuch „Wege in eine Zukunft aufzeigen“ und aktives Singen und Musizieren die darin enthaltene Zeugnisse jüdischer Musikkultur lebendig erhalten könne.

Im Publikum saß Altbundespräsident Christian Wulff in seiner Eigenschaft als Präsident des Deutschen Chorverbandes. Und Gila Flam, Musikarchiv-Direktorin der Israelischen Nationalbibliothek, skizzierte die Biografie des Musikforschers Abraham Zvi Idelsohn, der mit dem von ihm zusammengestellten Liederbuch Artefakte einer jüdisch-deutschen Kultursymbiose vor dem Vergessen bewahrt habe. Dass seine Vision eines „hebräischen Volks-Songs“ nun wiederbelebt werde, sieht sie als Höhepunkt ihres Wissenschaftlerinnenlebens.

Den Anstoß zur Wiederentdeckung hatte der Holocaust-Überlebende Josi Wald gegeben, als er Thomas Spindler, Leiter des ehrenamtlichen „Projekts 2025 – Arche Musivca“, auf Idelsohns Sammeltätigkeit hinwies. Was Spindler dann in der Israelischen Nationalbibliothek fand, war eine „einzigartige Zeitkapsel des Berlins von 1912“.

Ein schmaler, rot eingeschlagener Band, der aus zwei, aufeinander zulaufenden Teilen besteht, den hebräischen, genauer gesagt: dem vor hundertzehn Jahren in Berlin verbreiteten alt-aschkenasischen Texten mit den ebenfalls von rechts nach links gesetzten Noten sowie den deutschen, von links nach rechts laufenden Buchstaben und Noten. Ein israelisch-deutsches Forscherteam sorgte für die Transliteration, die Friede Springer Stiftung half bei der Finanzierung. Online ist das Original des Buchs ab sofort unter www.arche-musica.org zu finden.

Das jiddische Volkslied „Dos Kelbl“ wurde später übrigens in der englischsprachigen Version „Donna Donna“ zum Welthit, gesungen etwa von Joan Baez. Das Stück über das Kälbchen, das zur Schlachtbank fährt, hatte nun einen anderen Sinn bekommen, als Erinnerung an den Holocaust.

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