Die Fassbinder-Hommage „Peter von Kant“: Jeder tötet, was er liebt

Liebe ist kindisch. Sie macht hörig, süchtig, tobsüchtig, vor allem macht sie Theater. Wenn Peter von Kant (Denis Ménochet) in seiner Kölner Atelierwohnung vor der breiten Fensterfront im Morgenmantel schmachtet und wütet, wenn er alle Welt schikaniert und den treulosen Geliebten „Lüg mich an, mein Herz tut weh“ anfleht, ist das Melodram und Sitcom zugleich.

Am Ende beruhigt er sich, seine Mutter singt ihm ein deutsches Schlaflied, vorgetragen von Hanna Schygulla. Und er fädelt den Castingfilm noch einmal ein, den er von Amir (Khalil Gharbia) gedreht hat, dem Caravaggio-Beau mit den Locken und den sinnlichen Lippen, dem er verfallen ist und der ihn schon lange verschmäht.

Jeder tötet, was er liebt. Der erste Fassbinder-Film, den François Ozon sah, war „Querelle“. Darin singt Jeanne Moreau die Oscar-Wilde-Zeilen „Each Man Kills The Thing He Loves“. Jetzt singt Isabelle Adjani den Satz auf Deutsch, in ihrer Rolle als Muse und Leinwandstar Sidonie. Der schon leicht abgehalfterte Regisseur Peter von Kant, unverkennbar ein Fassbinder-Alter-Ego, wiegt seinen beleibten Körper dazu und tänzelt ein paar Schritte mit Diener Karl (Stefan Crépon), der nie ein Wort sagt, auch nicht bei seinem furiosen Abgang am Schluss.

Was schiebt sich nicht alles übereinander, gleich zu Beginn von Ozons Fassbinder-Adaption „Peter von Kant“, wenn der Titelheld erst nicht aus dem Bett kommt, um Karl alsbald Befehle entgegenzubellen und einen Brief an Romy Schneider zu diktieren, nachdem er mit „Mutti“ telefoniert hat. Die Erinnerung an Fassbinders Kinoversion seines Theaterstücks „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von 1972. Der Mythos vom herrischen Berserker Fassbinder, der seine Liebsten zu Stars machte, Männer wie Frauen. Der Glamour von Ozon-Filmen wie „Acht Frauen“. Und die Geschichte des Kinos als Zentrifuge der Obsessionen.

Der Franzose Ozon hat Fassbinders 50 Jahre alte menage à trois unter Frauen, mit Margit Carstensen als Mode-Diva, ihrer stummen Dienerin Marlene (Irm Hermann) und dem blutjungen Model Karin (Hanna Schygulla), zum schwulen Drama umgeschrieben. In „Peter von Kant“, der seine Weltpremiere zur Eröffnung der diesjährigen Berlinale feierte, wird aus der Modedesignerin ein Filmemacher, aus dem Model ein angehender Schauspieler – und den Brief von Karstadt, in dem Petra um eine Kollektion gebeten wird, hat Ozon in eine Anfrage der Bavaria umgewandelt, auf die Peter so begeistert wie höhnisch reagiert.

Auch Ozon, Jahrgang 1967, dreht einen Film nach dem anderen, auch er ist homosexuell. Das Vexierspiel zwischen Werk und Autobiografie grundiert schon „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“: Die Karin-Figur geht auf Fassbinders Lover Günther Kaufmann zurück, hinzu kommt die turbulente Beziehung zu El Hedi ben Salem (der die Hauptrolle in „Angst essen Seele auf“ übernahm). Dessen Nachname trägt jetzt der schöne Amir. Schygulla, damals das Objekt der Begierde, tritt wie gesagt als Peters Mutter auf. Mit ihr wehen Fassbinder-Ära und -Aura in die Wohnung hinein. Was ähnlich bleibt, ist das Seventies-Design, mit opulenten Interieurs, Wählscheiben-Telefon, Hausbar und XXL-Postern von Diven und barocken Gemälden mit nackten Schönheiten.

Ozon zieht das Tempo an bei den Gesprächen über Liebe, Ekel und Eifersucht, mit 85 Minuten ist sein Film 40 Minuten kürzer als das Original. Die Stilisierung und Überzüchtung der Bilder hat er jedoch französisiert, gestaltet sie leichthändiger, boulevardesker. Humor kommt ins Spiel, wenn etwa Peters Anweisungen – „Karl, Champagner!“ – wie Peitschenhiebe durch das Loft gellen, man einander ein deutsches „Prost“ zuruft oder Isabelle Adjani ihre koksende, den Cognac jedoch strikt ablehnende Diva („niemals am Vormittag!“) mit Selbstironie ausstattet. Die Liebe, diese Drama-Queen, taugt auch zur Komödie.

Ozon bereitet den Affekten eine Bühne und wirbt um Nachsicht. Seine Hommage an Fassbinder (die zweite nach der Adaption von „Tropfen auf heiße Steine“) ist in warmen Rottönen gehalten, später in Nachtblau, während der politische Fassbinder eine kühle Optik wählte, als er die libidinöse Besitzgier der Wirtschaftswunder-Jahre aufs Korn nahm. Ozon nähert sich seinem Protagonisten auch deutlich liebevoller als Oskar Roehlers Episodendrama „Enfant terrible“ mit Oliver Masucci in Lederjacke. Verteufelt ihn nicht, den 1982 mit 37 Jahren viel zu früh Gestorbenen, flüstert Ozons Film gleichsam: Er war doch beides, Monster und zärtlich Liebender, egomanisch und hochsensibel gegenüber den Anderen.

Schon im Original übernahm die Kamera immer wieder Irm Hermanns Perspektive, zeigte Empathie für die dauergedemütigte, masochistisch duldsame Opfergestalt. Und auch Stefan Crépons Diener wird zur diskreten zweiten Hauptfigur, sein sehr aufrechter Gang und sein eindringlicher Blick setzen Peters Furor eine eigene Intensität entgegen. „Der Mensch ist so gemacht, dass er die anderen Menschen braucht. Aber er hat nicht gelernt, mit ihnen zusammenzuleben“, heißt es einmal.

Habt Erbarmen mit diesem Unvermögen, bedeutet Ozon, Fassbinder hatte es auch. Nachdem dessen Heldin wild um sich geschlagen hat, wird sie in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ mit Verdis „Traviata“ besänftigt, mit Alfredos Gesang über die Liebe, die das Weltall bewegt, „dem Herzen Schmerz und Wonne zugleich“. Bei Ozon heißt’s nur „Schlafe, mein Lieber“. Angestimmt von der gütigen Hanna Schygulla, einer Diva aus Fassbinders Welt, die immer noch da ist. Das ist der größere Trost.

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