Tusche schickt ihn
Ein Wechsel in der Winterpause ist nicht immer einfach. Es muss schnell gehen, es bleibt keine Zeit für lange Abwägungen und so ein plötzlicher Umzug wird mit einer erst vier Wochen alten Tochter nicht gerade leichter. Da ist es eine große Hilfe, wenn man in der neuen Heimat bereits jemanden kennt, der einem bei der ersten Eingewöhnung hilft. Noch besser ist es, wenn dieser jemand auch noch so etwas wie eine regionale Legende ist. Im Fall von Sven Michel, 31, heißt dieser Köpenicker Kontakt Torsten Mattuschka, und hat seinem Kumpel aus Cottbuser Tagen schnell mal eine Wohnung für den Übergang organisiert.
Auch sportlich hat der mittlerweile 41 Jahre alte Mattuschka den Neuzugang des 1. FC Union bereits in Berlin begrüßt, mit ein paar netten und gewohnt markigen Worten. „Ich glaube, dass ihn die Union-Fans nach zwei Heimspielen lieben werden, weil er immer alles reinkloppt“, sagte Mattuschka der „Bild“-Zeitung. Als Michel in dieser Woche erstmals in einer Medienrunde spricht, wird er darauf natürlich angesprochen. „Ach ja, Tusche…“, sagt Michel und lacht.
Nach zwei gemeinsamen Jahren bei Energie Cottbus von 2014 bis 2016 kennt er Mattuschkas Art nur zu gut, im Kern stimmt er seinem Freund aber zu. „Union und ich – das kann gut klappen“, sagt der Stürmer vor dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund am Sonntag (15.30 Uhr, Dazn) im Stadion An der Alten Försterei.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Michel ist vor knapp zwei Wochen kurz vor Ende des Transferfensters für kolportierte 2,5 Millionen Euro vom SC Paderborn nach Berlin gewechselt. Auslöser war der überraschende Abgang von Max Kruse zum VfL Wolfsburg. Da liegt es natürlich nahe, Unions neue Nummer zehn als Ersatz für den früheren Nationalspieler zu bezeichnen.
In gewisser Weise ist Michel das auch. Beide sind Offensivspieler mit einem starken linken Fuß, sind torgefährlich und haben ein gutes Auge für die Kollegen. In der Zweiten Liga weist die Statistik für Michel in dieser Saison 14 Treffer und sieben Vorlagen aus. Die Spielweisen der beiden Stürmer unterscheiden sich allerdings grundlegend. „Ich bin ein sehr robuster Spieler, habe gute Laufwege in die Tiefe und kann die Bälle festmachen. Ich glaube, dass ich der Mannschaft mit diesem Paket und meinem linken Fuß gut helfen kann“, sagt Michel und macht damit schon deutlich, wie unpassend der Kruse-Vergleich ist.
Denn der Neu-Wolfsburger braucht den Ball am Fuß, ist nicht schnell mit den Füßen, sondern schnell im Kopf. „Für mich sind das keine Fußstapfen, in die ich trete“, sagt Michel. Sie seien ganz unterschiedliche Typen.
Wie recht der Neuzugang damit hat, sieht man schon in den ersten Tagen in Berlin. Während Kruse im Winter stets dick eingepackt trainiert hat und es zu Wochenbeginn oft locker angehen ließ, ist Michel gleich mittendrin. Kurze Hose, keine Mütze, in den Übungen ist er meist im Vollsprint unterwegs. Nach dem Training sammelt er noch die Stangen ein und bringt sie in den Schuppen.
Michel ist ein Arbeiter ohne Allüren, dem die Profikarriere nicht in den Schoß gefallen ist. Mit Anfang 20 spielt er noch in der fünftklassigen NRW-Liga. Dass es später doch noch für ganz oben reicht, hat mit seiner Hartnäckigkeit und auch mit etwas Glück zu tun.
[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Nachdem er 2016 mit Cottbus in die Regionalliga abgestiegen ist, wechselt er nach Paderborn – und beendet die Saison auch dort auf einem Abstiegsplatz. Doch 1860 München erhält keine Lizenz, Paderborn bleibt in der Dritten Liga und steigt in der Folge unter Trainer Steffen Baumgart zwei Mal in Folge auf. An dieser unwahrscheinlichen Erfolgsgeschichte hat auch Michel einen großen Anteil. „Ich hatte dort eine Bombenzeit und mein Herz schlägt immer noch für Paderborn“, sagt Michel.
Dennoch entschied er sich für ein neues Kapitel, für einen weiteren Anlauf in der Bundesliga. Auf sein Heimdebüt gegen Dortmund, bei dem er aufgrund des Ausfalls von Andreas Voglsammer gute Chancen auf die Startelf hat, freut er sich besonders: „Bisher durfte ich hier immer nur gegen Union spielen, was schon Gänsehaut pur war.“ Zum ersten Mal dürfen am Sonntag wieder 10 000 Zuschauer dabei sein und den Neuzugang mit den traditionellen „Fußballgott“-Rufen begrüßen. „Mit unseren Fans im Rücken ist alles möglich“, sagt Sven Michel.