Die Realität von Treblinka: Guillaume Ribots „Je n’avais que le néant – Shoah par Lanzmann“

Es beginnt mit einer heiteren Gartenszene in Holon, einem Vorort von Tel Aviv. Die Sonne scheint, eine Familienfeier mit vielen Kindern, mitten drin Abraham Bomba, der Friseur, der durch Claude Lanzmanns „Shoah“ eine Berühmtheit geworden ist. Lanzmann hat ihn hier aufgespürt, nachdem er Bomba erst in New York City lange vergeblich gesucht, schließlich gefunden und wieder aus den Augen verloren hatte.
Nun legt Lanzmann sofort los und bittet Bomba vor die Kamera, auf dass er seine Geschichte erzähle: „Ich filmte ihn vor dem Mittelmeer auf der schönen Terrasse einer Wohnung in Jaffa“, schreibt Lanzmann viele Jahre später in seiner Autobiografie „Der patagonische Hase“, „und wieder entfaltete Bomba beim Bericht von seiner Deportation aus Tschenstochau und den Höllenqualen des Durstes, die sein Baby und seine Frau auf der Fahrt durchmachten – die beide nach der Ankunft in Treblinka sofort vergast wurden- , sein rhetorisches Talent, die Fähigkeit, seinen Bericht zu veranschaulichen, die mich in New York so beeindruckt hatten.“
Auch die unvergessliche Szene, in der Bomba in einem Friseursalon in Tel Aviv einem Freund die Haare schneidet und dabei erzählt, wie er den jüdischen Frauen, kurz bevor sie vergast wurden, die Haare geschnitten hat, vergisst der französische Regisseur Guillaume Ribot in seinem Film „Je n´avais que le néant – ,Shoah´ par Lanzmann“ nicht. Sein Film ist eine Hommage an Lanzmanns „Shoah“, eine Art Making-Of.
Ansatzweise versucht Ribot darin, die Chronologie der zwölf Jahre dauernden Arbeit von 1973 bis 1985 an diesem unvergleichlichen Werk nachzuzeichnen. Ribot verwendet dafür unveröffentliches Material von „Shoah“, was sich natürlich nicht so sehr von dem veröffentlichten unterscheidet.
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Lanzmann bei seinen Interviews
Aus dem Off gibt es eine Stimme, die erzählt, es sind dies die Sätze, die Lanzmann in „Der patagonische Hase“ und anderen Texten über „Shoah“ geschrieben hat. Lanzmann selbst sieht man, wie in „Shoah“, immer wieder mal im Bild, wie er seinen Interviewpartnern gegenüber sitzt oder steht. Neben Bomba sind das zum Beispiel Filip Müller, Richard Glazar oder Simon Srebnik, die Überlebenden der Sonderkommandos, die Lanzmann von ihren grausamen Erfahrungen erzählen lässt.
Wie hat er es in „Der patagonische Hase“ geschrieben: „Mein Film sollte sich der äußersten Herausforderung stellen: die nichtexistierenden Bilder vom Tod in der Gaskammer zu ersetzen.“ Der Tod sollte das Thema seines Films sein, nicht das Überleben.
Lanzmann in Deutschland
Der Mittelteil von Ribots Film dreht sich um Lanzmanns Erlebnisse in Deutschland, wie er beispielsweise mit versteckter Kamera seine Gespräche mit Franz Suchomel führt, einem der sechs Nazis in „Shoah“. Suchomel war ein ehemaliger SS-Unterscharfführer, der das T-4-Euthanasieprogramm der Nazis mitverantwortete und an der Ermordung von fast zwei Millionen Juden beteiligt war.
Verwackelte Schwarzweiß-Aufnahmen, die Stimmen von Lanzmann und Suchomel, das monoton Bohrende von Lanzmann. Und dazu, als Kontrast, sehr eindrücklich die Szene aus einer Bar, in der ein altes, deutsches Paar selbstvergessen zu einem Schlager von Peter Alexander tanzt.
Einer gewissen Chronologie folgt auch die Entscheidung Lanzmanns, nach Polen zu fahren, ins geografische Zentrum der Vernichtung, nachdem er schon vier Jahre an „Shoah“ gerabeitet hatte. Eine Reise, die er zunächst nicht machen wollte: „Treblinka wurde wahr, und der Umschlag des Mythos ins Reale traf mich wie ein Blitz.“ Hier wieder die Polen, die von all dem etwas mitbekamen, und am Ende wieder Srebnik, der für Lanzmann auf einem Kahn auf der Ner abermals das Lied singt, das er den SS-Leuten als 13-Jähriger immer singen musste.
Ribots Würdigung von Lanzmanns „Shoah“ ist eine angemessene, kongeniale, sie erzeugt dieses „Shoah“-Gefühl des stummen Unfassbaren. Am Ende ist sie trotzdem nur eine Ouvertüre dafür, sich die gesamten neuneinhalb Stunden „Shoah“ erneut anzuschauen.