Nachruf auf Gabriele Beger: Fechterin für die Bibliotheken und Juristin aus Leidenschaft
Wer in Berlin forschen oder um des Vergnügens willen lesen möchte, hat eine mindestens in Deutschland einzigartig breite Auswahl von Bibliotheken zur Verfügung. Und dass selbst die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), der kurzsichtige Lokalpolitiker immer noch den Umzug in das Haus der Galeries Lafayette verweigern, trotzdem agieren und nicht nur reagieren kann, liegt auch an den Vorarbeiten einer ihrer Gründungsdirektorinnen, Gabriele Beger.
Von 1993 bis 2005 leitete Beger die Berliner Stadtbibliothek. Seit 1997 führte sie im Gespann mit Claudia Lux auch die neu aus der Amerika-Gedenkbibliothek, der Stadtbibliothek und später auch der Senatsbibliothek begründete Berliner Zentral- und Landesbibliothek; ihre Erfahrung mit ineffizienten Berliner Bibliotheksstrukturen, in der Bund, Land und Bezirke auf Augenhöhe miteinander auskommen müssen, kam Beger vermutlich sehr zugute, als sie 2005 an die kaum weniger komplizierte Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek wechselte.
Von Berlin nach Hamburg
24 Jahre zuvor, 1971, hatte sie als Assistentin an der Berliner Stadtbibliothek begonnen, unter dem strengen und doch nach ihren Worten vergleichsweise liberalen Regiment von Heinz Werner in dessen atemberaubend langer, von 1951 bis 1992 währender Amtszeit.
Ein Mann, wie sie dem Autor dieser Zeilen einmal erzählte, von dem man lernen konnte, die Tücken der Politik durch Feinsteuerung zu umgehen, Kontrolllücken zu erkennen und so die erfolgreichste allgemeinwissenschaftliche Bibliothek der DDR aufzubauen, sogar die Beziehung zu den West-Berliner Schwestern aufrecht und mit einem komplexen Tauschsystem die Bestände aktuell zu erhalten.
Werner förderte Beger, die 1952 in Treptow geboren wurde: Nach der Ausbildung zur Bibliotheksassistentin konnte sie parallel zu ihrem Dienst in der Stadtbibliothek in Leipzig und Ost-Berlin Bibliothekswissenschaften, seit 1984 auch Jura studieren. Seit 1996 lehrte sie wie vorher Werner an dem von ihm mit begründeten Institut für Bibliothekswissenschaft der Humboldt-Universität mit dem Schwerpunkt Medienrecht, später auch in Potsdam und Hamburg. Promoviert hat sie erst 2002: Ganz aktuell ging es im Zeitalter des grassierenden Neoliberalismus und der noch naiven Internetbegeisterung um die Fragen des Urheberrechts in einer digitalisierten Gesellschaft.
Expertin für digitales Urheberrecht
Sie hatte viel Selbsthumor, selbst in staubtrockenen Bibliothekarstagungen: „Wenn ich dann zum Paragraphen 52 A des Urheberrechts komme, vertagen Sie einfach die Mittagspause.“ Sie war Juristin, aus Leidenschaft, und leidenschaftliche Fechterin für die Bibliotheken und den ständigen Kampf mit dem Datenschutz, für eine saubere Interpretation der Statistiken, für die Wissenschaftlichkeit auch in den allgemeinbildenden Bibliotheken.
Sie focht mit Claudia Lux für das Recht der ZLB, ein Pflichtexemplar jedes in Berlin publizierten Mediums zu erhalten, aber auch dafür, der Staatsbibliothek ein nationales Pflichtexemplar wieder zuzusprechen, dass diese 1991 auf Druck der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main und Leipzig verloren hatte. Beger konnte sich noch Jahre später in Gesprächen mit dem Autor über diese Fehlentscheidung des Bundestags aufregen.
Trotzdem ging ihr der im deutschen Bürgertum weit verbreitete Kulturpessimismus völlig ab, wie sie in einem Interview der Hamburger Morgenpost 2018 klarmachte: „Wir müssen weg vom Nostalgie-Gedanken. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen und so schön war es früher auch gar nicht. Heute ist es viel schöner! Ich konnte nie zuvor fünf Bücher gleichzeitig in meiner Handtasche mitnehmen, ich konnte nie durch ein kleines Tippen in meiner Datenbank nachschauen, wann dieser Autor gelebt hat. Das sind unermessliche Geschenke, die wir durch die Digitalisierung genießen.“
Ihre eigenen Wohnungen in Berlin oder in Hamburg standen übrigens bis unter die Decke voll mit Büchern. Und sie sortierte ihre Bibliothek thematisch, nicht nach Alphabet: „Ein Roman, ein Krimi neben einem juristischen Werk, das geht nicht“. Auch darin war sie wohl eine Ausnahme in der Bibliothekswelt. Wie erst jetzt bekannt wurde, verstarb die selbstbewusste Berlinerin Gabriele Beger am 6. Mai in ihrer Wahlheimat Hamburg.