David Schalkos Roman „Was der Tag bringt“: Für immer im Coronaloch
Was passiert, wenn keiner mehr was von einem will? Wenn Ruhe einkehrt? Auf den Plätzen großer Städte. Wo im Corona-Lockdown Tauben und Stadtreinigung die Herrschaft übernahmen. Oder in den Gehirnen von Menschen, deren durch permanentes Nachrichtengetexte vorgegaukelte Betriebsamkeit nur schlecht ihre dröhnende emotionale Leere kaschiert. So wie es Felix geht, bei dem die Pandemie die Telefone gründlich zum Schweigen bringt.
Der Phänotyp des larmoyanten Enddreißigers, dessen selbstquälerische Nabelschau in ihrer Übellaunigkeit nur noch von der Nichtigkeit seiner Taten getoppt wird, hat neulich schon im Kino in Christian Petzolds Sommer-Ostsee-Etüde „Roter Himmel“ schwer genervt. Dem von Thomas Schubert gespielten Schriftsteller Leon, hätte man ob seiner mit Arroganz und Desinteresse an Mitmenschen gepaarten Schreibhemmung, die ganze Filmlänge über eine reinhauen mögen.
Ein ebenso verabscheuungswürdiger Antiheld ist David Schalkos Felix. Eben noch Inhaber eines hippen Start-ups, genauer einer Wastefood-Cateringfirma, jetzt coronabedingt Pleitier mit galoppierender Post-Pandemie-Depression. Ein urbanes Würstchen, dass die von der toten Mutter ererbte und ungemein geschmackvoll eingerichtete Eigentumswohnung vermieten muss, um sich über Wasser zu halten.
Um an den Vermietungstagen die Fixkosten klein zu halten, lädt sich Felix zum Couchsurfen bei einem befreundeten Pärchen ein, dessen Boutique-Hotel-Einrichtung ebenso uniform wirkt wie ihre wenig belastbaren Freundschaftsgesten. In seiner Isolation ist Felix ebenso wenig zu uneigennütziger Herzlichkeit fähig wie seine wechselnden Gastgeber.
Allein seine Ex und jetzt beste Freundin Sandra kann ihn in der Abwärtsspirale, die vor allem eine Vereinsamungsspirale ist, noch erreichen. Anders als sein Vater, den er in einer sentimentalen Anwandlung im Reihenhausmief der Jugendtage aufsucht. „Konnte man ohne die andere Menschen überhaupt Mensch sein?“, fragt sich Felix in endlosen inneren Monologen. „Ohne deren Spiegelbild. Ohne deren Echo. Ohne deren Berührungen.“
Nicht wirklich, wie sich im „Jeu Zero“ herausstellt, einem Hotel, in das ihn ein Zufallsbekannter führt. Das Hotel ist der beste erzählerische Einfall des Österreichers David Schalko, der außer Romanen wie zuletzt „Bad Regina“ (2021), einer Satire auf das alte misogyne, in Agonie versinkende Europa, auch groteske Serien wie „Altes Geld“, „Braunschlag“ und „Aufschneider“ geschrieben und inszeniert hat.
Ein kapitalistischer Alptraum
Nur im Zimmer sitzen und atmen kostet im „Jeu Zero“ nichts, alles andere schon. Die Benutzung des Schranks, des Fernsehgeräts, der Toilette, des Sitzplatzes im Restaurant. Ein kapitalistischer Alptraum, der Blaise Pascals Bonmot ad absurdum führt, dass das Unglück der Menschen nur daher rühre, dass sie nicht allein in ihrem Zimmer zu bleiben vermöchten. Diesen Höhepunkt von Felix‘ Irrfahrt durch fremde Betten kann man sich sehr gut als Filmsetting vorstellen, aber nicht von David Schalko, sondern von Luis Buñuel verfilmt.
Was macht den Menschen aus: seine materiellen Besitztümer, sozialen Kontakte, das berufliche Prestige? All das dekliniert Schalko in seiner mühevoll zu lesenden Geschichte einer vollendeten Wohlstandsverwahrlosung durch. Wie immer in einem dialogischen Stil, der vom Bewusstseinsstrom, den Gedankenmonologen des Protagonisten abgelöst wird. Nur, dass in „Was der Tag bringt“ komplett der Schalko-Schmäh und Schalko-Witz fehlen, der etwa „Schwere Knochen“ auszeichnete.
Böse ist der Roman durchaus, aber zu konfus und thematisch ziellos konstruiert. Als sei der Autor beim Schreiben demselben Weltekel und derselben Tendenz zur Selbstauslöschung zum Opfer gefallen, die seinen Protagonisten quälen. Einige Schmunzler immerhin enthält Schalkos niederschmetternde Pandemienachlese. „Leute verschwinden, Felix. Ist dir das schon aufgefallen? Taxifahrer, Kellner, überall suchen sie Personal. Wohin sind sie alle?“. Tja.