Absurde Romantik: Lars Theuerkauff nutzt die KI zum Malen

Ein Landschaftsbild. Anmutig, mit impressionistischem Flair und von intensiver Farbigkeit. Das Blau im Vordergrund deutet ein herangezoomtes Gewässer an. Dahinter dichter Baumbestand, durch den die Sonne scheint. Mal in gelb-weißlicher Morgenstimmung, mal in feurigen Orange- und Rottönen.

„Flut“ nennt Lars Theuerkauff die in diesem Jahr entstandene Serie. In Zeiten des Klimawandels sind wir andere Flutbilder gewohnt. Woher also die absurde Romantik? Die Vorlagen hat eine Künstliche Intelligenz zum Stichwort Flut entworfen. Anscheinend hat das generative KI-Programm gelernt, uns Menschen zu schonen. Die Katastrophe ist ausgeblendet. Vermutlich war die ursprüngliche Version noch harmonischer.

Malerei mit der Zahnbürste

Lars Theuerkauff verfremdet die Ergebnisse der KI, indem er sie abfotografiert und hierzu die Linse mit Öl einreibt oder dickes Glas als eine Art Filter einsetzt. Das vorgebliche Idyll der Acryl-Bilder bekommt im Malprozess etwas Beunruhigendes, und wie in einem Nachbild entstehen die realen Flutkatastrophen vor unserem inneren Auge. Die Polarität von delikatem Farbauftrag und rauen Themen steigert der 1968 in Lüneburg geborene Künstler durch seine Techniken. Er malt mit Händen und Fingern, setzt Zahnbürsten und Wischtücher anstelle von Pinseln ein und erzielt darin eine beeindruckende Virtuosität und einen eigenen Duktus.

Experimente mit der Wahrgebung von KI hinterfragen auch in Serien wie „Kim Novak Helicopter Crash“ oder „Eberswalder Straße 29, 10437 Berlin“ die Irrungen und Wirrungen heutiger Bildwelten zwischen Fake und realen Anteilen. In „Vincent Sturmvogel“ schließt Theuerkauff Kunstgeschichte und Gegenwart kurz. Seltsame Flugwesen streifen durch typisch van Goghsche Weizenfelder mit Himmel oder Sternen. Ihre Erscheinung ähnelt einer Kreuzung aus Drohne und Rabe, aber nicht wirklich flugtauglich. Die Vorlagen sind eineinhalb Jahre alt, die damalige Technik ist längst überholt: Eine heutige KI wäre sehr viel präziser.

Die bleiche Haut des Jungen

Weitere Serien, die die umfangreiche Ausstellung „Wir bestehen zu 70% aus Wasser“ in der Galerie Tammen präsentiert, sind anhand von Posts aus den sozialen Medien entstanden. Auch hier bewegt sich Theuerkauff – der Malerei und Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert hat und Film an der Berliner Universität der Künste – subtil zwischen politischem Hintergrund und originär malerischer Haltung. Reflektiert aktuelle Ereignisse des Weltgeschehens und jüngste technologische Entwicklungen und entgeht auf beeindruckende Weise dem Diktum, nach dem Malerei heutzutage nicht mehr welthaltig sei.

Ein attraktiver Mann liegt in „Emporio Armani“ auf dem Rücken. Den Kopf zur Seite geneigt, bekleidet nur mit der Armani-Unterhose. Schlafend möchte man meinen. Wären da nicht die bleiche Haut, die roten Striemen an den Armen und die Ziffer 22 mitten auf seinem Brustkorb. Allmählich erst werden wir gewahr, dass aus diesem Körper alles Leben gewichen ist. Leichnam Nummer 22? Ein Soldat? Vielleicht aus dem 22. Regiment, und warum ist er bis auf die Unterhose entkleidet? Gedanken an die Opfer grausamer Gewalt drängen sich auf. Krieg und Folter.

Das Zusammenspiel von ebenmäßig gemalter Haut und den die Figur umgebenden pointillistischen Partien und gelb-gold blitzenden Konturen verleiten zum Hinschauen. Dann entpuppt sich der weiße Stoff, der zunächst wie eine Schlafdecke anmutet, als Leichensack; das dunkle Muster am oberen Bildrand als stilisiertes Straßenpflaster.

Fundstücke aus den sozialen Medien

Anziehend und verstörend zugleich, können wir uns dem genauen und fragenden Blick nicht entziehen. Die sanften Verwischungen der Farbe und die leichten Schleier lassen die Konturen und Flächen weich erscheinen und verleihen den Motiven etwas Ästhetisches. Eine Ästhetik jedoch, die konträre Gefühle auslöst.

Die Fundstücke aus den sozialen Medien benutzt Theuerkauff ohne redaktionelle Bearbeitung. Unter und zwischen den vermeintlich schönen Oberflächen lauert die brutale Wirklichkeit. Die Kühltruhen mit der leuchtend roten Coca Cola-Werbung, die unsere Aufmerksamkeit erheischt, bis die dazwischen liegenden Körper in den Fokus rücken. Opfer der Terror-Anschläge der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.

Kontrastierend dazu die jungen Männer in Badehosen, die ihre durchtrainierten Muskeln präsentieren. Ihre spielerische Ausgelassenheit wird konterkariert von der leicht fahlen Farbigkeit und den dezenten Unschärfen, die die Heiterkeit ins Ungemütliche kippen. Die Selfies und Posts stammen aus Russland und der Ukraine. Aus der Zeit vor dem russischen Angriffskrieg. „Fleisch“, so der Titel der Reihe. In Erinnerung an junge Russen, die mit der Parole „Wir sind kein Fleisch“ gegen ihre Zwangsrekrutierung demonstriert haben.

Offen bleibt, ob die Jugendlichen auf den Bildern noch leben, in den Schützengräben der einen oder anderen Kriegspartei liegen oder als Kanonenfutter bereits getötet wurden. Es sind diese Leerstellen, die Lars Theuerkauffs Malerei so eindringlich machen. Fragen nach der Conditio humana aufwerfen und uns berühren. Denn das Element Wasser entscheidet über Leben und Tod. Des Menschen und der Natur.