Der Wille der Götter: Die Kammeroper Schloss Rheinsberg zeigt „Dido – Königin von Karthago“

Die Wege der Musikgeschichte sind unergründlich. Wenn ein Werk jahrhundertelang immer wieder gespielt und aufgeführt wird, dann meist zurecht. Aber warum verschwinden andere, ebenso gute Stücke, dann im Wortsinn so sang- und klanglos? Die Musik von Niccolò Piccinni ist so ein Fall. Er lebte von 1728 bis 1800 und starb in Paris, war aber Italiener. Angeblich soll es damals in Frankreich einen Streit gegeben haben zwischen Anhängern des Opernreformers Christoph Willibald Gluck und denen von Piccinni – es ging, grob gesagt, darum, was das Primat hat: Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit des musikalisch-inhaltlichen Stoffs (Gluck) oder die reine, von den Fesseln allzu großer Realität befreite Kunst (Piccinni).

Jetzt war ein Piccinni-Stück in Rheinsberg zu hören. Seit Georg Quander bei der Kammeroper das Zepter übernommen hat, setzt er immer wieder zu Unrecht vergessene Stücke auf den Spielplan und kombiniert sie zu interessanten Programmen. In diesem Jahr kontrastiert er, im großen thematischen Rahmen des Trojanischen Kriegs, Glucks „Iphighenie in Aulis“ (Premiere war an Ostern) mit Piccinnis „Dido, Königin von Karthago“, die am Donnerstag aufgeführt wurde, erstmals seit 1783. „Niemand kannte das Stück, Orchester nicht, Solisten nicht, wir sind heute Abend alle Debütanten“, erklärt Quander vor Premierenbeginn im Schlosshof.

Lebendige, tänzerisch gedachte Musik

Doch das Wagnis lohnt sich. Wie schon vergangenes Jahr mit Paisiellos „La Molinara“ ist in Rheinsberg eine echte Überraschung zu besichtigen. Piccinnis Musik ist höchst lebendig und tänzerisch gedacht, er respektiert die französischen Konventionen großer Ballett- und Chortableaus, verschmilzt sie aber auch mit einer realistisch gedachten Figuren und einer starken Handlungsorientierung – so dass, Pointe der Geschichte, der Gegensatz zwischen Gluckisten und Piccinnisten eigentlich gar nicht bestanden hat.

Der trockene, vibratolose Originalklang der Akademie für Alte Musik Berlin mag in geschlossenen Räumen immer etwas gewöhnungsbedürftig sein, zu diesem Open-Air-Setting aber passt er hervorragend. Es herrscht eine interessante Akustik im Schlosshof, der Hornschall erreicht manchmal einen Tick zeitversetzt das Ohr. Konzertmeister Bernhard Forck feuert sein Ensemble immer wieder an zu souveränem, engagiertem Spiel.

Die Geschichte von Dido und Aeneas ist auch in der Oper oft erzählt worden, etwa von Purcell, Hasse, Berlioz. Piccinnis‘ Librettist Jean-Francois Marmontel gehörte zum Kreis seiner Unterstützer in Paris. Er stützt sich auf Vergils Epos, zoomt die Story aber heran an die wenigen Tage, in denen Aeneas‘ Entscheidung fällt, Dido zu verlassen und in Italien Rom zu gründen. Seine Nachfahren werden dann bekanntlich einige Jahrhunderte später zurückkehren und Karthago vernichten. Die Götter spielen eine große Rolle im Stück, Aeneas rechtfertigt sein Tun mit der Vorhersehung und Jupiters Wille. Das freie autonome Individuum ist noch ein Phänomen der fernen Zukunft.

Nóemi Bousque singt eine sensationelle Dido

Wie fast jedes Jahr stehen tolle junge Sänger in Rheinsberg auf der Bühne. Chen Li erfüllt den Schlosshof in seiner ersten großen Solorolle als Aeneas mit mächtigem, hellen Tenor und strahlt eine große Geerdetheit aus, wirkt allerdings szenisch etwas distanziert und neutral dem Geschehen gegenüber. Das kontrastiert stark mit der sensationellen Nóemi Bousquet als Dido, die mit feuriger, aber zugleich enorm nuancierter Leidenschaft in der Stimme die Tragödie dieser Frau hörbar macht. Dritter im Bunde es Yiwei Mao als gegnerischer Numidier-König Iarbas, der in einem Nebenkonflikt Karthago bedroht. Sein Bariton steht dem Tenor von Chen Li in nichts an Schönheit nach.

Aus Kostengründen gibt es keine vollwertige Inszenierung, Regisseurin Andreea Geletu muss sich damit begnügen, einen Laufsteg und die Kolonaden zum See hin zu bespielen. Doch alle Beteiligten, auch die spiel- und singfreudigen Chorsänger vom Vokalsystem Berlin, sind so engagiert bei der Sache, dass dieses Manko gar nicht weiter auffällt und wieder einmal begeisterter Jubel den Nachhimmel über Rheinsberg erfüllt.