Nachruf auf Val Kilmer: Der ewige Iceman
Als Oliver Stone vor über dreißig Jahren einen Darsteller für Jim Morrison suchte, kam eigentlich nur einer infrage. Unfassbar gutaussehend und bedrohlich musste er sein, hungrig und arrogant, leidenschaftlich bis zur Selbstaufgabe und eigensinnig.
Das war Val Kilmer, den früh eine gesunde Skepsis gegenüber der Aufmerksamkeitsmaschine Hollywoods auszeichnete. Hier kam Geld immer vor Talent.
Kilmer, 1977 der jüngste Student in der Drama-Klasse der einflussreichen Juilliard School, war aber auch ein verdammt guter Sänger – damals noch ohne die Hilfe Künstlicher Intelligenz. Er erweckte in dem von der Kritik gefeierten Musik-Biopic die Songs der Doors und ihres Sänger wieder zum Leben.

© Imago/Carolco Pictures
Kilmer verfolgte schon damals der Ruf, schwierig zu sein, die Medien pflegten das Image des „Enfant terrible“, das sich mit schönen Frauen wie Cher und Angelina Jolie umgibt. Anfang der Neunzigerjahre aber gab es keinen größeren Star als den stets grinsenden Sonnyboy aus Kalifornien mit seiner Mischung aus Surfer-Laissez-faire und klassischem Hollywood-Glamour.
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Das „Schwierige“ war bei Kilmer nur eine weitere Rolle, eine Schutzvorrichtung. Eigentlich mache ihn sein Job nervös, erzählte er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. „Ich habe Angst, dass ich mein Leben verschenke, als Schauspieler gibst du so viel von dir weg. Aber ich kann mit der Sorte Geschichten nichts anfangen, die dich nichts kosten.“
Durchbruch mit Navy-Werbefilm „Top Gun“
Der Film, der alles verändern sollte, war natürlich das Pilotendrama „Top Gun“, eine Feier des Testosterons, homosozialer Männlichkeit und des amerikanischen Patriotismus, der das Kino der Reagan-Ära definieren sollte. Kilmer spielt darin Iceman, den Rivalen von Tom Cruises draufgängerischem Maverick um die Krone der titelgebenden Navy-Fliegerschule.

© Imago/United Archives
Die spektakulären Aufnahmen aus den Cockpits der F-14-Kampfjets waren nur ein Grund, warum damals Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern in die Kinos strömten – und die Navy eine Flut von Bewerbungen erhielt. Die eigentliche Attraktion waren natürlich geschniegelte junge Männer in blütenweißen Uniformen, allen voran Kilmer mit Crewcut-Igelfrisur und diesem Gewinnerlächeln.
Ich bin ein Charakterdarsteller, aber ich sehe aus wie ein Hauptdarsteller.
Val Kilmer
Danach kamen die Angebote, aber Kilmer blieb wählerisch. Bei den Dreharbeiten zu Ron Howards Fantasyfilm „Willow“ (1988) lernt er seine langjährige Partnerin Joanne Whalley kennen, mit der er auch zwei Kinder, Mercedes und Jack, hat.
Seinen Karriereplan verfolgte er konsequent weiter; die privaten Probeaufnahmen, die er an seine Lieblingsregisseure schickte, sind in Hollywood Legende. Zu den Empfängern gehörten unter anderem Stanley Kubrick und Martin Scorsese, die hatten aber andere Pläne für „Full Metal Jacket“ beziehungsweise „Goodfellas“. Dann rief Oliver Stone an. „Jim nicht zu spielen, war keine Option“, sagte Kilmer damals über die Darstellung des Doors-Sängers.
Der Tod des Bruders als Motivation
Val Kilmer wurde 1959 in Los Angeles geboren. Seine Eltern, Anhänger der protestantischen Glaubensbewegung Christian Science, ließen sich scheiden, als er acht war. Sein jüngerer Bruder Wesley ertrank im Alter von 15 Jahren im heimischen Whirlpool, Kilmer hat den Tod des Bruders später immer wieder als wichtigste Motivation für seine künstlerische Laufbahn bezeichnet.
Am Broadway gehört er mit Kevin Bacon und Sean Penn zur neuen Generation von jungen Wilden, die damals die Bühnen eroberten. Und mittendrin Kilmer, der 1984 seine erste große Filmrolle in der Nonsens-Komödie „Top Secret!“ von Jim Abrahams übernahm. Er spielt einen amerikanischen Rock-’n’-Roll-Sänger, der als Ablenkungsmanöver für eine Geheimdienstoperation durch die DDR tourt.
„Ich bin ein Charakterdarsteller, aber ich sehe aus wie ein Hauptdarsteller“, lautet ein berühmtes Zitat von Kilmer, das ihn wie einen Fluch verfolgen sollte. Er suchte immer wieder die Nähe zu den großen Filmkünstlern seiner Zeit, von denen es in den 1990er-Jahren nicht allzu viele gab.
Michael Mann erhörte schließlich sein Bitten und gab ihm eine Hauptrolle in dem Actionfilm „Heat“ an der Seite von Robert de Niro als Gentleman-Gangster und Al Pacino in der Rolle des Cops. Und Kilmer glänzte im Duell der beiden Legenden, erstmals konnte er auf großer Bühne sein ganzes Können beweisen.
„Batman Forever“ schadete Kilmers Ruf
Eine Ironie des Schicksals, dass er im selben Jahr auch für den Film vor der Kamera stand, der Val Kilmer die größte Aufmerksamkeit seiner Karriere bescherte. In „Batman Forever“ löste er Michael Keaton als den geflügelten Superhelden ab, unter der Regie von Joel Schumacher wurde der brütende Rächer aber zur Zirkusnummer degradiert.

© Imago/Warner Bros
In Interviews erzählte Kilmer, er fühle sich wie der Darsteller in einer Seifenoper; Kritik und Publikum sahen das ähnlich. „Batman Forever“ und der folgende Kassenflop „Die Insel des Dr. Moreau“ beschädigten Kilmers Ruf. In den 2000er-Jahren war er dann immer seltener in Hauptrollen zu sehen, seine exzentrischen Auftritte brachten ihn aber gelegentlich noch in die Schlagzeilen.
Schon zu Lebzeiten hat Val Kilmer daran gearbeitet, sein Vermächtnis für die Nachwelt festzuhalten. 2014 diagnostizierten die Ärzte bei ihm Kehlkopfkrebs, nach der Operation musste er durch eine Trachealkanüle atmen, das Reden fiel ihm immer schwerer. In dem Selbstporträt „Val“ von 2021, in dem Sohn Jack dem Vater seine Stimme leiht, ließ er noch einmal sein Leben Revue passieren. Eine Vielzahl an Familienvideos zeichnet das intime Porträt eines notorisch unbequemen Querkopfs.
Man kann sich kein bewegenderes Memoriam vorstellen, als diese Karriere mit dem größten Erfolg enden zu lassen. Für das Sequel „Top Gun: Maverick“ holte Tom Cruise vor drei Jahren noch einmal seinen kranken Freund vor die Kamera.
Auch Iceman hat in der Kino-Reunion Kehlkopfkrebs, im Gespräch zwischen Maverick und „Ice“ tippt Kilmer seine Antworten in einen Computer. „Du musst loslassen“, steht da in großen Buchstaben auf der Leinwand – als gläubiger Christian Scientist hat man ja leicht reden.
Es war Val Kilmers letzte Kinorolle. Am Dienstag starb der ewige Iceman mit 65 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.