Das mach ich nur aus Liebe
„Ich hab’ auch schon R’n’B gemacht und Blues und Gospel und lateinamerikanische Musik – ich liebe die Musik grundsätzlich“, sagt die deutsch-persische Sängerin, Komponistin und Dirigentin Cymin Samawatie. Mit dem „Trickster Orchestra“ bringt sie Musikerinnen und Musiker zusammen, die so vielleicht noch nie zusammen gespielt haben: „Das sind zwanzig Welten, die hier aufeinandertreffen, weil zwanzig Persönlichkeiten zusammenkommen.“
Samawatie wird als Tochter iranischer Einwanderer in Braunschweig geboren und wächst zwischen zwei Sprachen und Kulturen auf. An der Hochschule in Hannover studiert sie – immer wieder von prägenden Lehrerpersönlichkeiten inspiriert – zunächst klassische Musik mit dem Schwerpunkt Schlagwerk, Klavier und Gesang.
Angetrieben durch eine unbändige Neugier, findet sie später zum Jazz, ein Studium des Jazzgesangs an der Universität der Künste Berlin folgt. Und in Kooperation mit ECM-Records-Gründer und Musikproduzent Manfred Eicher sowie ihrer eigenen Jazz-Formation „Cyminology“ lassen erste Erfolge nicht lange auf sich warten. Ein Höhepunkt von vielen: Samawatie jammt 2003 an der Seite von Bobby McFerrin.
Ihre Projekte finden Anklang und werden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Weltmusikpreis Ruth, dem „Creole Weltmusik Award“ und dem „Jazz & Blues Award“. Ob in „Divan der Kontinente“, „Female Voice of Iran“ oder in Zusammenarbeit mit Musikerinnen und Musikern der Berliner Philharmoniker, Samawatie verbindet in ihren Projekten immer wieder die persische Lyrik, die sie schon in jungen Jahren in den Bann zieht, mit zeitgenössischer Musik: „Es ist ein unheimlich reicher Schatz, den man da erforschen und entdecken kann.“
Auf der Suche nach einer trans-traditionellen Musiksprache
2013 schließlich gründet sie gemeinsam mit Perkussionisten-Kollege und Komponist Ketan Bhatti das Orchesterprojekt „Trickster“. „Bei der Arbeit mit diesem Orchester treten Ketan und ich aus unserer musikalischen Komfortzone heraus und erfinden uns neu – wir probieren neue Wege aus, die es noch zu entdecken gilt“, so Samawatie. Sie übertragen ihre poetische Musiksprache in den größeren Rahmen umfangreicher Orchestrierung, inspiriert aus ganz unterschiedlichen Quellen, wie etwa von Psalmen oder Texten der Sufi-Dichter Rumi und Hafis bzw. des türkischen Dichters Efe Duyan.
Sie wollen dabei eine „trans-traditionelle Musiksprache“ entwickeln, unter anderem aus der Verbindung traditionell europäischer, west-, zentral- und ostasiatischer sowie jüngerer, elektronischer Instrumente. Es gehe aber nicht darum, „die verschiedenen Traditionen gegenseitig auszustellen, sondern in der Interaktion eine gemeinsame neue Sprache zu finden.“
Musik, die von Diversität erzählt
Den ungewöhnlichen Namen des Kollektivs erklärt eine Art Manifest unter dem Titel „Kunstmusik und Dekolonisierung“, das auf die mythologische beziehungsweise volkstümliche Figur des „Tricksters“ verweist: Ein Charakter, der durch intellektuelles Talent und geheimes Wissen konventionelle Regeln missachtet, die universelle Ordnung stört und dabei sozialen Wandel bewirkt wie etwa Prometheus, Till Eulenspiegel oder Mephistopheles in Goethes „Faust“.
In diesem Sinne will das „Trickster Orchestra“ der klassischen, zeitgenössischen Kunstmusik begegnen und der Frage nachgehen, „wie eine zeitgenössische Musik klingen könnte, die der Diversität der Gesellschaft gerecht wird“. Das gleichnamige, neue Album „Trickster Orchestra“ spiegelt das wider: Es entzieht sich schneller Deutungen traditioneller Genrebegriffe und ist ungewöhnlich im besten Sinne (das Album ist bei ECM erschienen).
Genauso aber auch herausfordernd. Wer sich darauf einlässt, wird in eine grenzüberschreitende Musikerfahrung gezogen, zwischen einsam-klaren Wüstenlandschaften, choralartig-lyrischen „Gebeten“, barock-anmutender Harmonik und der perkussiven Unmittelbarkeit treibender Schlagzeugrhythmik.
Im Mittelpunkt stehen die Texte
Immer wieder überzeugt Samawatie dabei stimmlich – auf Farsi, Hebräisch, Türkisch und Arabisch – mit ihrer hohen Klarheit und Substanz. Ihr Gesang stellt nicht sich, sondern die Texte ins Zentrum des künstlerischen Ausdrucks; gerade das macht die Musik so klischeefrei und zu etwas ganz Eigenem. Ebenso faszinierend wie irritierend ist die eigenwillige Instrumentierung des Albums, unter anderem mit arabischer Flöte Ney, Marimba, Cello, orientalischem Kanun und Elektronik-Tonerzeugung.
Über ihre durchaus ungewöhnliche Arbeit mit konzeptbasierten Kompositionsmethoden zwischen Kammermusik, freier Improvisation und Minimalismus sagt Cymin Samawatie: „Ich möchte mit Liebe provozieren. Weil ich zeigen will, dass Musik mehr ist als das, was die unterschiedlichen Hörer:innen vielleicht gewohnt sind.“