Stefan Kuntz steht in der Türkei vor einer schwierigen Aufgabe

Für Stefan Kuntz gibt es keine Schonfrist. Nach seinem Amtsantritt als Fußball-Nationaltrainer der Türkei am Montag muss der 58-Jährige sofort liefern: In knapp drei Wochen muss er mit seiner neuen Mannschaft in der WM-Qualifikation gegen Norwegen antreten. Der türkische Verband und die Fans erwarten bei dem Heimspiel am 8. Oktober von dem Deutschen eine Wende nach zuletzt schweren Enttäuschungen.

Viel Nachsicht oder Zeit für eine geduldige Aufbauarbeit kann Kuntz nicht erwarten. Die Türkei habe keine Geduld, warnte Sport-Kommentator Fatih Dogan in der Zeitung „Sabah“ den neuen Trainer: Das Land wolle immer alles sofort. Frühere ausländische Trainer des Nationalteams können ein Lied davon singen.

Mit Kuntz beginne im türkischen Fußball eine neue Ära, sagte Verbandspräsident Nihat Özdemir bei der Vertragsunterzeichnung am Montag in Istanbul. Für Deutschland sei der Wechsel ein Verlust, für die Türkei ein Gewinn. Geholt hatte Kuntz der frühere Bundesliga-Profi Hamit Altintop als Manager der türkischen Nationalmannschaft. Altintop hat mit ihm viel vor: Mit Kuntz solle die Mannschaft nicht nur siegen, sondern er solle die türkische Fußball-Kultur erneuern, sagte er. Dazu gehöre auch eine ehrliche Fehleranalyse – in der Türkei bisher Mangelware.

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Kuntz versprach per Dolmetscher, er werde rasch Türkisch lernen. Er kenne noch ein paar Worte aus seinem Jahr als Profi bei Besiktas Istanbul in den 1990er Jahren und habe viele schöne Erinnerungen an diese Zeit. Als Trainer kenne er das Potenzial der türkischen Mannschaft. Seine neuen Arbeitgeber erwarten von Kuntz die Art von Erfolgen, die er mit dem deutschen U-21-Nationalteam gefeiert hat: Kuntz hatte die Auswahl seit 2016 dreimal in Folge ins Finale der Europameisterschaft und zweimal zum Titel geführt.

Viele Deutsche Trainer feierten in der Türkei Erfolge

Deutsche Trainer genießen bei den Klubs in der Türkei einen ausgezeichneten Ruf. In den 1980er Jahren wurde Jupp Derwall, der Galatasaray Istanbul zum Meister machte, als Erneuerer gefeiert. Christoph Daum gewann mit Besiktas und Fenerbahce Istanbul drei türkische Meistertitel. Auch Joachim Löw arbeitete als Trainer bei türkischen Erstligisten. Einen deutschen Nationaltrainer hat die Türkei aber seit Sepp Piontek Anfang der 1990er Jahre nicht mehr gehabt.

Der türkische Verband hatte den bisherigen Nationaltrainer Senol Günes nach einer 1:6-Niederlage in der WM-Qualifikation gegen die Niederlande Anfang September gefeuert. In der Qualifikationsgruppe G liegt die Türkei auf Platz drei hinter den Niederlanden und Norwegen. Weitere Niederlagen kann sich das Land nicht leisten, wenn es 2022 bei der WM in Katar dabei sein will. Die letzte WM-Teilnahme der Türkei liegt fast 20 Jahre zurück.

Günes wurde nicht nur für das Debakel gegen die Niederlande verantwortlich gemacht, sondern auch für die vermurkste Europameisterschaft im Sommer. Nach drei Niederlagen und nur einem Tor schied die Türkei schon in der Vorrunde aus – obwohl Günes viele Profis aus erfolgreichen europäischen Klubs aufbieten konnte. Aus der Gruppe begabter, aber derzeit demoralisierter Einzelspieler eine Mannschaft zu formen, ist deshalb die Hauptaufgabe von Kuntz.

Guus Hiddink und Mircea Lucescu, die zwei letzten Ausländer auf dem Posten des türkischen Nationaltrainers, könnten Kuntz einiges über den Erfolgsdruck erzählen. Der Niederländer Hiddink hielt sich 2010 gerade einmal ein Jahr im Amt. Der Rumäne Lucescu schaffte es 2017 immerhin anderthalb Jahre, bevor auch er gehen musste. Sobald die Erfolge ausblieben, feuerten die Türken die beiden. Ob Kuntz seinen Dreijahres-Vertrag erfüllen kann, ist deshalb offen. (dpa)