Preisregen über Erlangen

Birgit Weyhe ist beim 20. Internationalen Comic-Salon Erlangen als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin mit einem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet worden. Die in Hamburg lebende Künstlerin ist auf dem Festival, das noch bis Sonntag dauert, auch mit einer Werkschau vertreten. Die Preise wurden am Freitagabend in neun Kategorien vergeben.

Deutsch-amerikanischer Dialog: Eine Seite aus „Rude Girl“.Foto: avant

„Birgit Weyhe interessiert, was Menschen umtreibt, wie sie wurden was sie sind – und zwar ganz gleich, aus welcher Kultur sie kommen, welche Hautfarbe sie haben oder wie alt sie sind“, sagte die Laudatorin, die Journalistin Andrea Heinze, bei der Preisverleihung am Freitagabend. „Das ist einzigartig in der deutschen Comiclandschaft.“

Zudem präge Weyhes Werk eine sehr kunstvolle Bildsprache: „Allein wie sie Vögel zeichnet, ist eine Kunst für sich: Manche schwingen sich auf in die Luft, als wären sie die Verkörperung der Freiheit. Andere kauern am Boden, als hätten sie ihr Potential noch nicht entdeckt. Und wieder andere sind so zerrupft und zerrissen, dass klar ist: Diesem Wesen wurde Gewalt angetan. Durch Metaphern wie diese werden die Comics von Birgit Weyhe ungeheuer dicht.“

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Birgit Weyhe hat einige Jahre auch für den Tagesspiegel gezeichnet, ihre gesammelten Sonntagsstrips sind vor zwei Jahren unter dem Titel „Lebenslinien“ als Buch veröffentlicht worden. Zudem hat sie sich in ihren Büchern unter anderem mit der Situation mosambikanischer Vertragsarbeiter*innen in Deutschland beschäftigt („Madgermanes“), wiederholt mit der eigenen Familiengeschichte („Im Himmel ist Jahrmarkt“) und in ihrem jüngsten Buch mit der ungewöhnlichen Lebensgeschichte der US-Professorin Priscilla Layne („Rude Girl“).

Der Max-und-Moritz-Preis, in dessen Jury bis 2018 auch der in diesem Jahr auf dem Comic-Salon als Moderator tätige Autor dieses Artikels saß, gilt als die wichtigste deutschsprachige Comic-Auszeichnung und wird alle zwei Jahre vergeben.

Bester deutschsprachiger Comic

Als bester deutschsprachiger Comic wurde das Buch „Work-Life-Balance“ von Aisha Franz ausgezeichnet. Darin beschäftigt sich die Berliner Zeichnerin auf satirisch überspitzte Weise mit den Abgründen der modernen Arbeitswelt.

Sonderbare Therapeutin: Eine Szene aus „Work-Life-Balance“.Foto: Reprodukt

„Ihre Erzählweise ist rasant, die Zeichnungen sind stilisiert, dynamisch, voll schräger Details und wunderbar koloriert“, heißt es in der Laudatio. „Work-Life-Balance“ sei „ein mitreißendes Vergnügen, in dem Zeitkritik, Satire und die Lust am Erzählen perfekt ausbalanciert sind.“

Bester internationaler Comic

Bester internationaler Comic wurde die queere Superhelden-Geschichte „Dragman“ von Steven Appleby. Der britische Autor erzählt darin mit skizzenhaftem, vibrierendem Strich die Geschichte von August Crimp, Familienvater und leidenschaftlicher, wenngleich heimlicher Träger von Frauenkleidern, die ihm Superkräfte verleihen.

Unkonventioneller Held: Eine Szene aus „Dragman“.Foto: Schaltzeit

Die Jury lobte hier unter anderem die „fulminante Story, in der Steven Appleby munter Genres mischt und Plots verknüpft“. „Dragman“ sei „ein grandioser Superheldencomic jenseits aller Klischees und Stereotypen.“ Applebys Buch war 2021 von der Tagesspiegel-Autor*nnen-Jury ebenfalls zum besten Comic des Jahres gewählt worden, mehr dazu hier.

Bester Sachcomic

Als bester Sachcomic wurde die illustrierte Essaysammlung „Im Spiegelsaal“ von Liv Strömquist ausgezeichnet. Darin sinniert die schwedische Feministin, der in Erlangen derzeit ebenfalls eine Ausstellung gewidmet ist, unter anderem über das gesellschaftliche Verständnis von Schönheit und analysiert die Macht der zunehmend digitalen Bilder auf so unterhaltsame wie kluge Weise.

Spieglein, Spieglein … Eine Szene aus „Im Spiegelsaal“.Foto: avant

„Liv Strömquists Comic-Essays sind wissenschaftlich fundierte, gezeichnete Stand-Up-Comedy mit Punk-Einschlag, beziehungsweise kulturwissenschaftliche Essays mit scharfem Humor, die sowohl aufklären, informieren als auch prächtig unterhalten und mit verblüffenden Erkenntnissen und Zusammenhängen aufwarten“, befand die Jury.

Bester Comic für Kinder

Als bester Comic für Kinder wurde das Buch „Trip mit Tropf“ von Josephine Mark ausgezeichnet. Die Leipziger Zeichnerin hatte am Abend zu vor bereits einen anderen Preis erhalten, mehr dazu weiter unten.

Der Tod ist allgegenwärtig – der Humor auch: Eine Szene aus „Trip mit Tropf“.Foto: Kibitz

„Trip mit Tropf“ erzählt vom abenteuerlichen Roadtrip eines Hasen mit Krebserkrankung, der dabei von einem Wolf begleitet wird. Das Buch zeige, „wie warmherzig und behutsam und zeitgleich höchst amüsant mit dem schwierigen Thema Krankheit umgegangen werden kann“, heißt es in der Laudatio.

Bestes deutschsprachige Comic-Debüt

Der in diesem Jahr neu eingerichtete Preis für das bestes deutschsprachige Comic-Debüt ging gleich an drei Titel: Die queere Science-Fiction-Erzählung „Melek + ich“ von Lina Ehrentraut, das demnächst im avant-Verlag erscheinende Werk „Pfostenloch“ von Daniela Heller, in dem es um den Alltag einer Gruppe von Nachwuchsarchäolog*innen geht, sowie die Musiker-Biografie „Who’s the Scatman?” von Jeff Chi.

Spezialpreis der Jury

Der Spezialpreis der Jury ging an den Kunsthistoriker Alexander Braun, der sich unter anderem mit großen Ausstellungen zu unterschiedlichen Facetten der Comic-Geschichte sowie opulenten und mit fundierten Texten versehenen Katalogen einen Namen gemacht hat.

Alexander Braun.Foto: Robert Miguletz

„Alexander Braun ist ein großartiger Analytiker, der in seinen Büchern und Ausstellungen immer wieder zeigt, wie Lebensumstände, Persönlichkeit und Werk zusammenhängen“, schreibt Jurymitglied Andrea Heinze in ihrer Laudatio. „Auf diese Weise verfasst er maßgebliche Werke der Comicgeschichte und eröffnet neue Perspektiven auf die Kulturgeschichte, die weit über die Comicszene hinaus relevant sind und wahrgenommen werden“.

Publikumspreis

Der Publikumspreis, der durch eine öffentliche Abstimmung im Internet ermittelt worden war, ging an das Buch „Lisa und Lio“ von Daniela Schreiter.

Eine Szene aus „Lisa und Lio“.Foto: Panini

In dem Buch, das sich vor allem an Kinder richtet, vermittelt die Berliner Autorin auf unterhaltsame Weise, was den Alltag von Menschen mit Autismus auszeichnet. Schreiter ist Asperger-Autistin und hat das Thema zuvor unter anderem in ihrer Reihe  „Schattenspringer“ bearbeitet.

Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk

Der Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk wurde in diesem Jahr an den Japaner Naoki Urasawa vergeben. Er hat zahlreiche populäre Manga-Reihen geschaffen, darunter „Monster“, „20th Century Boys“, „Pluto“ und „Billy Bat“. Kürzlich ist seine neue Reihe „Asadora!“ gestartet, in der er Zeitgeschichte mit Fantastischem vermischt.

Und Action! Eine Szene aus dem ersten Band von „Asadora!“.Foto: © 2019 Naoki URASAWA / SHOGAKUKAN

„Naoki Urasawa ist ein begnadeter Erzähler, der seine Geschichten oft an relevante gesellschaftliche, politische und zeitgeschichtliche Themen anlehnt – und diese realistische Grundlage immer auch um historische Spekulationen und um eine fantastische, übernatürliche Ebene überhöht“, heißt es in der Laudatio von Jury-Mitglied Christian Gasser.

Die ICOM-Preise

Am Abend zuvor waren bereits die Independent-Comic-Preise des Interessenverbands Comic (ICOM) vergeben worden.

In der Kategorie Bester Independent-Comic (Selbstveröffentlichung) wurdeThe Most Dangerous Game von Jürgen Geier Speh ausgezeichnet, die Adaption einer Kurzgeschichte von Richard Connell aus dem Jahr 1924.

Eine Seite aus „The Most Dangerous Game“.Foto: Geier

„Ein lesens- und vor allem auch sehenswertes Comicwerk, das nicht zuletzt durch ein Artwork besticht, dass sich in der Strichführung an der Art der Illustrationen alter Pulp-Hefte orientiert, ohne jedoch die klare Hell-Dunkel-Modellierung unnötig ausufern zu lassen oder in die Darstellung der Glorifizierung allzu sexistischer und heldenverbrämender Abbildungen zu verfallen“, heißt es in der Laudatio von Jurymitglied Dirk Seliger.

Als bester Independent-Comic (Verlagsveröffentlichung) wurde das erste Buch von Josephine Mark („Trip mit Tropf“) ausgezeichnet, und zwar die existenzialistische Western-Erzählung „Murr“.

Eine Seite aus „Murr“.Foto: Zwerchfell

„Die Charaktere sind präzise auf den Strich gebracht und spiegeln ein ganzes Universum an Ausdrücken wider“, heißt es in der Laudatio von Sandra Nußer, die die Serie auch für „Witz, Charme, Herz und Tiefe“ lobt.

Der ICOM-Sonderpreis für eine besondere Publikation geht an die von schwarzem Humor durchzogene Kurzcomic-Sammlung Die Liebe ist stärker als der Tod von Oliver Ottisch.

Eine Doppelseite aus „Die Liebe ist stärker als der Tod“.Foto: Scherz und Schund

„In unverschämt frech-fröhlich gezeichneter Leichtigkeit stürzt Herr Ottitsch die Sinnwerkzeuge Lebender in eine traumatische Fantasiewelt, die von kopulierenden Zombies im Totlichtmilieu, feinsinnigen Henkern, menschenzerpflügenden Bäumen und knochigen Taxifahrern besiedelt ist“, schreibt Sandra Nußer in ihrer Laudatio.

Ein weiterer Comic-Preis wird an diesem Sonnabend auf dem Comic-Salon vergeben: Der Ginco Award.