Marcel Siem erlebt eine kleine Wiedergeburt
Marcel Siem hat stets den schwierigen Weg gewählt. Zumindest auf dem Golfplatz, aber nicht nur dort. „Ich habe immer versucht, über jedes Hindernis zu schlagen oder den Ball irgendwie mit Spin vorbei zu spielen“, hat er einmal erzählt. Eingebracht hat ihm seine eigenwillige Art des Spiels immerhin über acht Millionen Euro an Preisgeld – und doch war da stets dieses Gefühl, dieser Marcel Siem hätte mit seinem Talent noch viel mehr erreichen müssen.
Anders als ein Martin Kaymer oder erst recht als Bernhard Langer sind Emotionen für den seit Donnerstag 41-Jährigen ein wesentlicher Bestandteil seines Spiels. „Das ist vielleicht nicht typisch deutsch, aber wenn ich gut spiele, muss es irgendwie raus“, sagte Siem am Freitag nach der zweiten Runde der British Open, die er sensationell auf einem siebten Rang beendet hatte.
Vor ein paar Jahren wäre eine solche Platzierung von Siem als relativ normal zur Kenntnis genommen worden, auf der European Tour war er als feste Größe etabliert – in der höchsten kontinentalen Turnierserie gewann er insgesamt vier Titel. Doch 2020 verlor er nach fast zwei Jahrzehnten die Tourkarte.
Seither spielt Siem auf der zweitklassigen Challenge Tour, und weil er dort am vergangenen Wochenende in Frankreich bei der Le Vaudreuil Golf Challenge gewinnen konnte, erhielt er kurzfristig noch eine Einladung für die British Open, das älteste und wichtigste Golfturnier in Europa und eines der vier Major-Events in seiner Sportart.
Vor der Finalrunde liegt Siem auf einem starken neunten Platz
„Vor zwei Wochen war ich noch mental ganz woanders. Jetzt hier zu stehen, ist schon super, ein bisschen wie im Traum“, sagte er in einem Interview nach der zweiten Runde bei GolfPost.de. In Frankreich war er von seiner Tochter Victoria begleitet worden, die nun auch die Messlatte für das Turnier in Sandwich im Royal St. George’s Golf Club hoch legte: „Meine Tochter sagte, jetzt musst du noch einmal gewinnen“, erzählte Siem nach Runde zwei von einem ganz besonders motivierenden Anruf aus der Heimat.
Doch egal, wo Siem am Ende der vier Tage in Südengland landet – nach der dritten Runde liegt er mit sechs Schlägen Rückstand auf den führenden Südafrikaner Louis Oosthuizen auf dem geteilten neunten Rang – die British Open sind schon jetzt eine kleine Wiedergeburt für den einst drittbesten deutschen Golfprofi. „Ich spiele hier das beste Golf meiner Karriere bei einem solch großen Turnier. Das macht mich stolz“, sagte er am Samstag.
Dabei war bei ihm eigentlich schon immer klar, wohin sein Weg führen würde. Die Eltern leiteten ein Restaurant im Golfclub Ratingen, schon als Sechsjähriger war der kleine Marcel fast täglich auf der Anlage unterwegs: „Der Golfplatz war mein Sandkasten“, hat er einmal erzählt.
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In jungen Jahren galt Siem stets ein wenig als Lebemann, er selbst sprach davon, auch schon mal „ganz gern Party“ gemacht zu haben. Erst mit der Geburt von Tochter Victoria wurde er 2012 fokussierter und ließ sich weniger ablenken. Verletzungen und Formkrisen machten ihm allerdings zu schaffen. Vor einiger Zeit dachte er kurz sogar über ein Karriereende nach, startete dann aber einen weiteren Anlauf mit einem neuen Trainerteam. „Ich bin jetzt vielleicht ein bisschen netter zu mir selber“, sagte er.
Bei den Zuschauern war der Mann mit dem markanten Pferdeschwanz hingegen immer sehr beliebt. Wegen seiner lockeren Art auf dem Platz und seiner Körpersprache. Ob er mit einem Schlag zufrieden ist oder nicht, lässt sich fast immer aus seiner Mimik oder Gestik ablesen. Kaum ein anderer Golfer ballt so oft die Faust während einer Runde wie er.
Und für flotte Sprüche ist Siem auch im reiferen Alter immer noch zu haben. Die Frage, ob er auf dem British-Open-Platz im Royal St. George’s schon einmal gespielt hätte, verneinte er gegenüber GolfPost.de und fügte trocken zu: „Ist echt ’ne super Wiese.“