Durch Geräusche reden
Wolf Biermann weiß, wie man den Vorhof der eigenen Bedeutsamkeit kehrt: Er hat in der vergangenen Woche seinen Vorlass der Berliner Staatsbibliothek übergeben. Kanonisierung zu Lebzeiten, Selbstverortung zwischen Humboldt und Hegel, großer Bahnhof mit der Staatsministerin für Kultur und Medien, und singen kann er auch noch.
Fritz Marquardt hätte sich für so was nicht interessiert, und auch deshalb muss man bei ihm immer dazu sagen, dass der 1928 in Schlesien geborene und 2014 gestorbene Theaterregisseur auch Schauspieler, Maler, Autor war. Und nach 1990 auch Mit-Intendant, er gehörte zur sogenannten Fünferbande am Berliner Ensemble neben Peter Zadek, Heiner Müller, Peter Palitzsch und Matthias Langhoff.
Die fünf sollten das berühmte Theater in die neue Zeit führen, zerstritten sich aber, bis nur noch Müller übrigblieb. Wie fremd Marquardt in dieser Runde wirkte, beschreibt eine Erinnerung Palitzschs an die konstituierende Sitzung bei Zadek in der Toskana: „Beim Eintreffen von Marquardt reagierte Zadek auf den fremden Ankömmling wie auf einen Ureinwohner Australiens.“
Jetzt gibt es in der Akademie der Künste ein Fritz-Marquardt-Archiv. Gerade fünf Regalmeter umfasst es, weil sich bei Marquardt niemand um die Dokumentation künstlerischen Schaffens kümmerte. Was ein wenig lustig ist, weil zu dem langen und ungeraden Weg von Fritz Marquardt in das Theater auch der Job als Archivar an der Volksbühne gehörte.
Komisch ist bei Marquardt vieles, etwa der Lebenslauf, den er 1958 geschrieben hatte und der nun in den Archivmappen der Akademie zu finden ist.
Aus dem Kleinbürgertum zur Kunst
In dem kommt auch die rätselhafte Internierung des jungen Mannes in einem sibirischen Arbeitslager bei Kriegsende vor, aus dem Marquardt zwar geschwächt, aber lebendig nach einem halben Jahr wieder entkommen kann. Um als Traktorist in Seelow zu arbeiten.
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„Alles das hat wohl dazu beigetragen, dass ich eines Tages im Sommer 1947, etwas unter Alkohol, einen Zettel unterschrieb, wodurch ich Mitglied der damaligen Kaiser-CDU war. Im Herbst 1947 wurde ich dann, für mich selber sehr überraschend, zum Kreisgeschäftsführer der CDU ernannt.“
Der Irrtum wird noch korrigiert, und Marquardts Leben führt über die Arbeiter- und Bauern-Fakultät zum Philosophie-Studium bei Wolfgang Heise an der Humboldt-Universität, das später auch Wolf Biermann aufnahm. So ist Marquardts Weg aus kleinbürgerlichen Verhältnissen zur großen Kunst einerseits der Traum der frühen DDR, bei dem aber die Realität beginnend mit der Erfahrung des Lagers fürs schweißgebadete Erwachen sorgt.
Corinna Harfouch und Hermann Beyer erzählen
In Thomas Heises „Material“, dem großen dokumentarischen Panoptikum der Wendezeit von 1987 bis 1993, in dem Fritz Marquardt eine wichtige Rolle spielt, wird der Tag nach der Maueröffnung mit einer kurzen S-Bahn-Fahrt abgetan, über die Heise, der Sohn von Wolfgang, von einem Spaziergang Richtung Grenze mit Marquardt erzählt: „Fritz sah die Szenerie, ging nicht weiter und murmelte, gleich kommen die Panzer.“
Eine Kompilation der Szenen, die Heise als Assistent von Marquardt bei dessen Ringen um die Inszenierung von Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“ 1989 gefilmt hatte, war Teil des Archiv-Eröffnungsabends. Den anderen bestritten Corinna Harfouch und Hermann Beyer, die mit viel Lust und lässiger Könnerschaft Texte von und über den Regisseur lasen. Und von der Arbeit mit ihm erzählten.
Harfouch sagte den schönen Satz, dass man bei Marquardt lernte, „die Sprache wie ein Messer zu benutzen“. Und das, obwohl sich Marquardt selbst dieser selten bediente: „Fritz hat sich viel über Geräusche geäußert.“ Ein „Tttt“ von aus dem Saal sei das Zeichen dafür gewesen, dass er etwas besonders gut fand, ergänzte Beyer. Auch ein Grund, sich an den zähen, knochigen Fritz Marquardt zu erinnern.