Hans-Peter Durst hat es satt
Annette Kögel ist Mitbegründerin der Paralympics Zeitung von Tagesspiegel und DGUV und schreibt hier immer jeden ersten Mittwoch im Monat.
Der Mann war schon immer für einen Hammer gut. Radsportler Hans-Peter Durst hat zwei paralympische Goldmedaillen geholt, eine davon auf losem Fahrradsattel. Dazu kommt Silber, er ist 20-maliger Deutscher Meister und achtmaliger Weltmeister im Paracycling – und er ist immer noch heiß auf die Spiele, die nächsten sind im Spätsommer in Japan.
Fünf Jahre lang hat er sich vorbereitet auf Tokio – und jetzt das: „Am Ende ist ausschlaggebend, dass die gesundheitliche und gesellschaftspolitische Situation eine Teilnahme für mich nicht möglich macht.“
Er meint damit nicht seine Gesundheit, er meint Corona. „Es können für mich keine fairen Spiele sein“, erzählt der Dortmunder über einen Handymessengerdienst. Viele Qualifikationswettkämpfe mussten abgesagt werden, viele Athletinnen und Athleten kämen nicht an einen Impfstoff. „In Japan haben die Menschen Angst, 80 Prozent der Bevölkerung sind gegen Olympische und Paralympische Spiele, IOC und IPC agieren gegen den Willen des Austragungslandes“, so sieht das der Dreirad-Leistungssportler.
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„Wir machen unseren Sport sicher auch für uns, aber eigentlich machen wir den doch gemeinsam mit unseren Freunden, mit Familie, mit Fans, mit den Leuten, die uns unterstützen und anfeuern – und die sollen dann plötzlich Pappmachézuschauer in den sonst oft ausverkauften Stadien sein?“ Das wären Spiele, ohne richtige Spiele zu sein, bedauert Hans-Peter Durst.
In der Tat beginnen die Vorbereitungen zu den wegen der Corona-Pandemie bereits um ein Jahr verschobenen Olympischen und Paralympischen Spielen völlig anders als jemals zuvor.
Mehr als angespannte Lage
Als Erste bei Olympia ab 23. Juli in Tokio hat die – durchgeimpfte – australische Frauen-Softball-Mannschaft ihr Trainingslager in Japan bezogen. Wegen der andauernden Corona-Pandemie muss sich die Mannschaft jedoch strengen Regeln unterwerfen, denn Tokio befindet sich weiter im Corona-Notstand.
Natürlich müssen sich alle jeden Tag auf das Coronavirus testen lassen; die Zimmer, Speise- und Besprechungsräume befinden sich auf einem Stockwerk ihres Hotels. Die Spielerinnen und ihre Betreuer:innen dürfen sich nur zwischen ihrer Unterkunft und den Trainingsanlagen bewegen, Ausflüge oder sonstiger Kontakt mit der Bevölkerung sind verboten – diese Regeln gelten auch für die späteren Paralympics. Stattdessen sind virtuelle Begegnungen über das Internet geplant.
Das Team ist in der Stadt Ota in Tokios Nachbarpräfektur Gumma untergebracht. Dutzende andere Gemeinden in Japan haben ihre Gastgeberrolle für die Olympischen und die Paralympischen Spiele aus Sorge vor dem Virus aufgegeben.
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Während wohl gerade viele jüngere Athleten dennoch darauf brennen, sich auch bei den Paralympics unter diesen Umständen zu präsentieren, ist der 60-jährige Durst, einer der erfolgreichsten Athleten der Sommerspiele, aus weiteren Gründen dagegen, dass in diesem Jahr Weltspiele stattfinden, wie er auf seiner Internetseite schreibt: „Ein Großteil Japans lebt seit Monaten unter Notstandsverordnungen, nachhaltig steigenden Infektionszahlen, überfüllten Intensivstationen, über die Grenzen belasteten Kliniken.
Trotz dieser mehr als angespannten Lage verlangt das IOC und das OK zur Durchführung der Spiele mehr als 10.000 medizinische Mitarbeiter – Krankenpfleger:innen – Sport-Ärzte – medizinische Fachkräfte. Dazu wertvolle Ressourcen wie medizinische Geräte und Einrichtungen.“ Und das, so der Leistungssportler, der seit 1994 nach einem Autounfall beeinträchtigt ist, obwohl „die Krankenhausärzte vor Ort klagen, dass wiederholt Menschen zu Hause starben, während sie auf Krankenhausbetten warteten“.
Lediglich zwei Prozent der japanischen Bevölkerung sei gegen Corona geimpft.
Angst vor möglichen Konsequenzen
Laut Durst äußern sich in persönlichen Gesprächen viele Sportler:innen und Trainer:innen zunehmend skeptisch, trauten sich aber wegen eventueller Konsequenzen nicht, den schweren Schritt einer persönlichen Absage zu gehen. Sie fühlten sich als „Sportler für Schaulaufen von Sponsoren verkauft“ und seien nicht bereit, für eine „Kommerz-Medaille“ die „Gesundheit aufs Spiel zu setzen“. Durst fühle sich indes durch die langjährige Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, die Bundestagsabgeordnete Dagmar Freitag (SPD) gestärkt, die es als verantwortungslos bezeichnet habe, an diesen Spielen festzuhalten.
Natürlich tut es mir als Para-Fan weh, das alles hier wiederzugeben. Eine Medaille hat immer zwei Seiten, auch die andere wird hier noch beschrieben werden. Jetzt hoffen alle erstmal, dass Olympia kein Spreader-Event wird. Damit es für die, die dennoch Paralympische Spiele wollen, auch welche geben kann.