Frauen im WM-Land: Das falsche Versprechen des katarischen Fußballs

Wenn man mit der „Goldenen Linie“ der U-Bahn in Doha ein Stück aus der katarischen Hauptstadt hinausfährt, erblickt man das Khalifa International Stadium. Dort wird die deutsche Fußballnationalmannschaft in der kommenden Woche bei der Weltmeisterschaft der Männer gegen Japan antreten. Und dort wurde auch im November 2021 das letzte Länderspiel der katarischen Fußballerinnen gegen Afghanistan ausgetragen.

Das ist jetzt über ein Jahr her, seither hat man von dem Frauen-Nationalteam wenig gehört. Im Vordergrund steht das Turnier der Männer und die damit einhergehende Kritik an den Menschenrechtsverletzungen, den fehlenden Arbeitsreformen – und der Situation der Frauen. Denn Katar nutzt die Austragung der WM nicht zuletzt, um sich auf internationaler Bühne als progressiv und offen zu inszenieren. Das verdeutlicht besonders das Thema Frauenrechte.

Wenn man WM-Chef Hassan Al-Thawadi auf Frauen in seinem Heimatland anspricht, ist die Rede von „großen Fortschritten“, insbesondere im Vergleich zu anderen Golfstaaten. „In der Qatar University haben wir einen großen Anteil an Akademikerinnen“, sagte er jüngst auf einer Podiumsdiskussion, „Frauen partizipieren in jedem einzelnen Sektor, auch in Führungspositionen.“

Faktisch stimmt das: Dem Arab Center Washington zufolge waren 2019/2020 insgesamt 1078 katarische Frauen und nur 371 Männer an den Universitäten eingeschrieben. „In Doha gibt es viele hochgebildete Katarerinnen“, sagt auch Rothna Begum von Human Rights Watch, „viele sind Unternehmerinnen, Anwältinnen und Ärztinnen.“

Auf den männlichen Vormund angewiesen

Dieser Eindruck kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mädchen und Frauen in etlichen Lebensbereichen weiterhin auf die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds, also Bruders, Vaters, Onkels, Opas oder Ehemanns, angewiesen sind.

Sie benötigen etwa eine Erlaubnis, wenn sie heiraten, mit staatlichen Stipendien studieren oder auch in öffentlichen Jobs arbeiten wollen. Einige Hotels lassen unverheiratete Frauen nicht einmal übernachten. Der Zugang zu Orten, an denen Alkohol ausgeschenkt wird, ist ihnen untersagt.

„Das diskriminierende System verhindert auch, dass Frauen als primärer Vormund ihres Kindes auftreten“, sagt Begum, „selbst, wenn sie geschieden sind und das Sorgerecht haben.“ Unverheiratete Frauen benötigen bis zum 25. Lebensjahr die Erlaubnis ihres Vormunds, um ins Ausland zu reisen. Selbst über 25 können sie ein Verbot auferlegt bekommen. Erst im Jahr 2020 hielten Beamte mehrere Frauen am Flughafen fest, weil sie ohne männlichen Angehörigen reisten.

Diese Regeln verstärken die Macht und Kontrolle, die Männer über das Leben und die Entscheidungen von Frauen haben

Rothna Begum

„Diese Regeln verstärken die Macht und Kontrolle, die Männer über das Leben und die Entscheidungen von Frauen haben“, sagt Begum, „und tragen zu Gewalt bei.“ Viele berichteten, dass das System ihrer mentalen Gesundheit schade und zu Depressionen sowie Suizidgedanken führe.

Besonders betroffen sind die 170.000 Arbeitsmigrant*innen in den privaten Haushalten, von denen über die Hälfte Frauen sind. „Sie gehören zu den vulnerabelsten Gruppen“, sagt May Romanos von Amnesty International „Sie leben völlig isoliert und sind abhängig von den Arbeitgebern, was es erschwert, zu fliehen oder die vielen Fälle von Missbrauch und Gewalt anzuzeigen.“

Weil Katar die Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv einschränkt, ist es quasi unmöglich für Frauen, sich zu organisieren. Jene, die im Internet auf Missstände aufmerksam machen, werden vom Regime eingeschüchtert. Bislang gibt es keine unabhängige Frauenrechtsorganisation.

Dass frauenfeindliche Bilder den öffentlichen Diskurs bestimmen, wurde zuletzt deutlich, als WM-Botschafter Khalid Salman Frauen als „Süßigkeiten“ bezeichnete. In der ZDF-Doku „Geheimsache Katar“ antwortete er auf die Frage, weshalb Frauen in seinem Heimatland in der Öffentlichkeit verhüllt sein müssten: „Vor dir liegt eine unverpackte Süßigkeit. Du weißt nicht, ob sie jemand berührt oder reingebissen hat. Und eine verpackte. Welche nimmst du?“

Die Fifa schreibt die Förderung von Frauen und Mädchen vor

Vor der WM wurde das Emirat deshalb vermehrt für die Situation der Frauen kritisiert. Hassan Al-Thadawi und seine Kollegen verweisen in solchen Momenten häufig auf den Fußball der Frauen im Land. Anfang der 2000er Jahre, als Katar bereits in Erwägung zog, sich für die Ausrichtung der WM zu bewerben, begann der Golfstaat, auch in den Fußball der Frauen zu investieren. Hintergrund war, dass die Fifa die Förderung von Mädchen und Frauen im Fußball als ein Kriterium für die Vergabe vorschreibt.

Mittlerweile coacht Monika Staab das saudische Frauennationalteam.
Mittlerweile coacht Monika Staab das saudische Frauennationalteam.
© promo

Also initiierte Musa bint Nasser al-Missned, zweite Ehefrau des damaligen Emirs, die Gründung des Frauen-Sportkomitees, das sich die „Gleichstellung der Geschlechter im Sport“ als Ziel setzte. In diesem Zusammenhang gründete Katar im Jahr 2009, wenige Monate vor Vergabe der WM, die erste Fußball-Auswahl der Frauen, die nicht wie sonst üblich dem nationalen Verband unterstellt war, sondern dem Sportkomitee. Bereits

im darauffolgenden Jahr bestritt das Team sein erstes Länderspiel. Monika Staab, die heute das saudische Nationalteam coacht, erlebte die Veränderungen aus unmittelbarer Nähe. Sie war von 2013 bis 2014 Trainerin des katarischen Nationalteams.

„Wir haben sehr viel getan in der Zeit“, erinnert sie sich. „Es gab damals viele Mädchen in den Schulen, die gern Fußball spielen wollten.“ Sie und ihre Kolleg*innen etablierten neben dem A-Nationalteam ein U14- und ein U16-Nationalteam. Mit den Spielerinnen hätten sie sogar internationale Erfahrungen sammeln können, sagt Staab. „Zu dem Zeitpunkt war es richtig toll, dass so viel für den Frauenfußball getan wurde.“

Es gab damals viele Mädchen in den Schulen, die gern Fußball spielen wollten.

Monika Staab

Bereits nach kurzer Zeit konnten sie erste kleinere Erfolge verzeichnen und wurden sogar in der Fifa-Weltrangliste auf Platz 108 geführt. Das Frauen-Sportkomitee habe aber nicht nur in den Fußball investiert, sondern auch in anderen Sportarten „viel auf den Weg gebracht, um Frauen zu fördern“, sagt Staab, zum Beispiel im Tischtennis, Volleyball und Basketball.

Zumindest für eine kurze Zeit. So schnell wie diese Veränderungen ins Leben gerufen worden waren, verschwanden sie auch wieder. Seit Staabs Abschied 2014 haben die Katarerinnen kaum Spiele bestritten und sind von der Weltbühne verschwunden. Die Aspire-Academy in Doha, eine der weltweit modernsten Fußballakademien, konzentriert sich vor allem auf die Förderung männlicher Sportler. Das wird auch auf der Website deutlich, auf der ausschließlich Jungen und Männer abgebildet sind.

Staab blickt mit Bedauern auf die Entwicklungen, denn „Sport ist für Frauen ein wichtiger Bestandteil, um Vorurteile abzubauen.“ In anderen arabischen Ländern gäbe es mehr Fortschritte zu verzeichnen, zum Beispiel im Oman, wo es ein Futsal- Nationalteam gibt, oder in Saudi-Arabien, wo das Nationalteam zuletzt mehrere internationale Spiele bestritt.

In Katar finden in absehbarer Zeit lediglich Spiele der Männer statt – auch im Khalifa International Stadium. Dass die Frauen dort bald wieder spielen, ist aktuell schwer vorstellbar.

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